„Berlin Alexanderplatz“ von Bärbel Jaksch und
Heiner Maaß an der Volksbühne Berlin, Regie Helmut Straßburger und Ernstgeorg
Hering
Tragikomischer Abstieg des Franz Biberkopf
Zum Auftakt der Spielzeit in der Volksbühne: „Berlin Alexanderplatz",
eine Überarbeitung der Uraufführung als Beitrag zum Berlin-Jubiläum.
Helmut Straßburger und Ernstgeorg Hering hatten 1981 das Stück in Szene gesetzt. Grundlage war die von Bärbel Jaksch und Heiner Maaß gefertigte Bühnenfassung des
gleichnamigen, zeitgeschichtlich engagierten Erfolgsromans
von Alfred Döblin aus dem Jahre 1929. Das Bemühen der Bearbeiter wie der Regisseure um Werktreue hatte das Geschehen um den Zuhälter
Franz Biberkopf, seiner
schnieken Mieze und seinen hinterhältigen Freund Reinhold zu einem Abend von viereinhalb Stunden ausufern lassen.
Jetzt sind die Begebnisse auf drei Stunden komprimiert, und das hat der Inszenierung gut getan. Unmittelbarer rückt des Herrn Biberkopf tragikomisch-vergebliche „Jagd nach dem Guten" (Döblin) in den Niederungen des Lebens — nachdem er eine Haftstrafe wegen Ermordung seiner Geliebten
Ida verbüßt hat — ins Blickfeld. Aber was schon von der Bearbeitung her draußen geblieben ist, das Berliner Milieu der zwanziger Jahre, speziell der von Döblin sequenzartig,
auch assoziativ montierte und kommentierte lebenspralle Querschnitt durch die damalige Einwohnerschaft am
Alexanderplatz, ist auch diesmal kaum eingebracht, weder vom Bühnenbild (Jochen Finke) noch von der Regie.
Zwar vermittelt am Anfang ein Arrangement von Personengruppen und mitten hinein ein Männerballett eine
Ahnung vom brodelnden Berlin jener Jahre, aber recht eigentlich bleibt das konkrete gesellschaftliche Umfeld ausgespart.
Die bei Döblin nur im
Hintergrund geisternden Engel Terah und Sarug hingegen sowie der Tod werden zu Conferenciers aufgewertet. Das
Geschehen begleitend, agitieren sie, einmal munter-herzig, einmal bedeutungsschwanger ins Publikum. Doch zeitlos-allegorische Figuren
sind für die Vermittlung
von Zeitkolorit denkbar ungeeignet. Die soziologische Betrachtungsweise verliert sich, der epische Zuschnitt
ebenfalls. Ein „Privat"-Drama braut sich zusammen — das des unseligen Franz Biberkopf, entfernter Verwandter von
Brecht-Figuren wie Fatzer, Baal, Galy Gay.
Erzählt wird von einem zum Krieger erzogenen Mann, der in der kapitalistischen Großstadt mit dem Frieden nicht zurechtkommt, dessen Schicksal wir allenfalls
bedauern, für den wir uns aber nicht engagieren können. Selbst wenn ihm seine Freundin
Mieze umgebracht wird. Wenn Alfred Döblin — was die Bearbeiter übernehmen —
diesen kleinbürgerlichen Lumpenproletarier, der vieles erlebt und erkannt hat,
letztendlich zwar schlimm ramponiert, aber arbeitsfähig zum Hilfsportier avancieren
läßt, so ist das — mit Verlaub — ein recht vager Verweis auf die Notwendigkeit,
daß die „alte Welt" reif sei zu stürzen. Und die Inszenierung vermag uns
auch nicht allzu viel Hoffnung zu geben, daß Biberkopf nun imstande sei,
soziale Isoliertheit und Ohnmacht zu überwinden.
Vielleicht gäbe ich mich solchen Erwägungen
gar nicht hin, würde nicht die moralisierende Schlußapotheose des Stücks dazu
verführen. Von Engeln, Tod und Hure Babylon mehr oder weniger flankiert und in
verklärendes Licht getaucht, wird das Opfer Mieze aus dem Grabe gehoben. Das
bindet die Biberkopf-Geschichte in eine theatralische Konvention, anstatt sie
sich reportagehaft-sachlich — wie Straßburgers Auftakt- und Endkommentare — in
der erbarmungslosen, weitertreibenden Hektik der Weltstadt verlieren zu lassen.
So ließe sich deutlicher auch heutig-wertendes Zeitbewußtsein ins Spiel holen.
In der Charakterisierung der Figuren kommen
sich Autor, Bearbeiter, Regisseure und Schauspieler am nächsten. Die Situationen
werden genau ausgespielt. Die Darsteller arbeiten mit teils gewollt-expressivem
Ausdruck. Dynamische, effektvolle Szenen.
Der Biberkopf von Günter Junghans: ein
treuherziger, gutgläubiger, zwar nicht korpulenter, doch leicht behäbiger
Spießer, heiter von Gemüt. Redlichkeit will er, Zuversicht beschwört er, seinen
eigenen Taten ist er nicht gewachsen. Die Nachricht vom Mord an seiner Mieze
und darüber, daß er des Mordes beschuldigt wird, kann er nicht verkraften.
Passungslos, schwankend, taumelnd treibt er ins Irresein.
Exzellent Klaus Piontek als Mörder Reinhold,
ein hartgesottener Frauenverführer nicht ohne wirklichen Charme, clever, aalglatt,
eiskalt. Sehr sensibel Angelika Waller als Dirne Eva, souverän im Spiel mit der
Lust, in Abwehr und Zuneigung. Margrit Straßburgers Mieze ist zunächst
überzeugend das gottvoll-naive Mädchen vom Lande. Dann, im Kampf mit Reinhold,
hätten raffinierte Herausforderung und panische Angst noch schärfer kontrastieren
können.
Winfried Wagner gibt den
salbadernden Tod mit Distinktion, Hildegard Alex die gleißende Hure Babylon als
Revue-Schönheit. Klaus Mertens und Gisela Rubbel servieren die Engel mit Humor
und Hintersinn. Bei allem Vorbehalt — die Wiederaufnahme von „Berlin
Alexanderplatz" war ein erfolgreicher Start in die Saison.
Neues
Deutschland, 22. September 1987