„Aloen“ von Athol Fugard in den Kammerspielen des DT Berlin, Regie Dietrich Körner

 

 

 

Tribunal gegen Apartheid

 

Eine „Lektion über Aloen“ nennt der südafrikanische Dramatiker Athol Fugard sein Schauspiel im Untertitel. Aloen  -  das ist eine Pflanzengattung aus der Familie von Liliengewächsen, die vor allem in Südafrika vorkommt. Fugard wählte die dornigen, kräftigen, gegen Dürre und Frost widerstandsfähigen Kräuter als Symbol für beharrliche Ausdauer im Kampf gegen die Apartheid.

Das 1982 in Potsdam für die DDR erstaufgeführte Stück inszenierte jetzt Dietrich Körner — erstmals Regie führend — in den Kammerspielen des Deutschen Theaters (Bühnenbild und Kostüme: Heinz Wenzel). Körner läßt nagende Bitterkeit empfinden angesichts des opferreichen, schier aussichtslos erscheinenden Kampfes der Unterjochten, angesichts der terroristischen Praktiken der Rassenfanatiker Südafrikas. Er läßt aber dennoch die Kraft der Unterdrückten spüren, ihre historische Zuversicht — wenngleich drei Menschen fast zerbrochen sind: der weiße Busfahrer Piet, dessen Frau Gladys und dessen Freund und Genosse, der farbige Maurer und Gewerkschafter Steve.

Piet und Steve hatte der Kampf gegen das Rassistenregime zusammengeführt. Nachdem Steve verhaftet war und wieder frei gekommen ist — „frei" zwar, doch im Bann —, bricht ihre Freundschaft auseinander. Steve ist des Kampfes müde, glaubt die Sache verloren, hat in der Haft ausgesagt, will leben und das Land verlassen. Auch schleppt er — wie andere Genossen — eine furchtbare Mutmaßung mit sich herum: Sein Freund Piet könnte der Polizeispitzel gewesen sein, durch dessen Angaben er ins Gefängnis kam. Selbst Piets Frau Gladys, durch grausame Vernehmungen der Polizei neurotisch geworden, nährt zeitweise diesen Verdacht.

Das Stück enthüllt Replik für Replik die verzweifelte Lebenssituation dieser drei Menschen. Piet, der Aloen sammelnde und pflegende Arbeiter, hat nicht nur unendliche Geduld mit seiner kranken Frau, er bewahrt sich auch eine Erwartung, ein Anrecht auf die Zukunft durch eine tapfere, weise Standhaftigkeit in der Isolierung, in die er wegen des Verdachtes geraten ist.

Reimar Joh. Baur ist ein sensibler Piet. Im behutsamen, einfühlsamen Umgang mit Gladys fängt er immer wieder die spitzen Pfeile ab, die sie bewußt und unbewußt auf ihn abschießt. Zunächst — so scheint es — sind das ganz einfach nur gegenseitige Bissigkeiten, wie sie bei manch altem Ehepaar vorkommen. Dann aber wird die Reibung an der unmenschlichen sozialen Situation deutlich. Mit einem obenhin fröhlichen, tief innen hohlen, entsetzlich wehen Lachen sucht der Piet Baurs die Grausamkeiten der Wirklichkeit zu verdrängen. Da kämpft einer unerbittlich mit sich um die Wahrung der Menschenwürde.

Gladys ist die unpolitische Ehefrau, die die Aktionen ihres Mannes zwar nie verstanden, sie aber geduldet hat, und die mit hineingezogen wurde in die existentiellen Auseinandersetzungen. In der Gestaltung von Lissy Tempelhof wird diese Figur zu einer Anklage des Systems. Eine gedemütigte Frau, deren vitaler Lebensanspruch sich nicht erfüllen wird. Hier ist ein Menschenschicksal genau ausgelotet, drastisch, erschütternd.

Dietrich Körner hatte kurzfristig (wegen Erkrankung von Wolf-Dietrich Köllner) die Rolle des Steve übernommen. Kleine Unsicherheiten, gewiß. Dennoch beeindruckend, wie Körner eine füllige, brüchige Schwerfälligkeit spielt, mit der sich Steve, dem die Gewerkschaft das Leben bedeutete, nun an eine Zukunft klammert, die irgendwo im kalten Norden, in England, wieder Leben bringen könnte für sich und seine Familie.

Täglich erreichen uns ungeheuerliche Nachrichten aus Südafrika. Hier in den Kammerspielen bekommen sie einen anschaulichen Hintergrund. Auch das gehört zur Funktion des Theaters.

 

 

Neues Deutschland, 12./ 13. Oktober 1985