„Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ von Ferdinand Raimund am Schiller-Theater Berlin, Regie Heribert Sasse

 

 

 

Ein rechter Rappelkopf, der in sich geht

 

Ein romantisch-komisches Original-Zauberspiel von Ferdinand Raimund (1790-1836), dem Matador der Wiener Volksposse, hätte — kritisch aufgefrischt — wohl eher an der Volksbühne Ost oder West einen aktuellen Platz. Am Schiller-Theater aber suchte Heribert Sasse, der scheidende Generalintendant, für seinen Abschied nach einer reputierlichen Rolle. So kam „Der Alpenkönig und der Menschenfeind" in die Bismarckstraße.

 

Raimunds „psychotherapeutisches" Stück entstand 1828. Im nämlichen Jahr schrieb der hypochondrische Autor in nerviger Gereiztheit: „Die Umgebungen, mit denen ich zu leben gezwungen bin, werden täglich abscheulicher und mir täglich verhaßter." Er flüchtete in sein Phantasiereich romantischer Kunst und stritt dort gegen den niederen Eigennutz und die heuchlerischen Kniffe seiner Zeit. Er erfand einen menschenfeindlichen Gutsbesitzer, den ein menschengütiger Alpenkönig, ein Magier, in seinen „Erkenntnistempel" zitiert, um ihn mit einer psychischen Roßkur zu läutern.

 

Rappelkopf hat schon drei Frauen unter die Erde gequält. Jetzt rast er gegen die Heirat seiner Tochter Malchen mit dem mittellosen Maler Dorn. Und er tyrannisiert sein viertes Weib Sophie und die gesamte Dienerschaft. Zugleich mißtraut er der ganzen Welt, hält er den harmlosen Diener Habakuk gar für einen von seiner Frau gedungenen Mörder. In panischer Angst um sein Leiben verläßt er sein Haus. In der Waldeinsamkeit wird er vom Alpenkönig mit Spuk und Feuer gezwungen, seinen kapitalen Hochmut abzulegen und sich dann in den eigenen vier Wänden anzusehen, welch böser Mensch er ist. Der in den Rappelkopf verwandelte Alpenkönig führt's dem wahren Rappelkopf so überzeugend vor, daß der in sich geht. Ein einsichtiger Menschenfeind — welch eine Possengestalt!

Diese hintersinnige poetische Ironie verfehlte freilich Regisseur Heribert Sasse. Er inszenierte mit Wienerischer Liebenswürdigkeit ein herzig-sentimentales Gaudi. Hans Teuscher allerdings mimt grimmiges Dasein. Phonetisch miserabel gibt er zunächst den Alpenkönig als einen preußisch-trockenen Bürokraten und dann lautstark (nun zu verstehen) den Gutsbesitzer als einen wahren Berserker. Teuscher ist der Rappelkopf, spröde, bärbeißig, irdisch; Sasse spielt ihn, charmant, verbindlich, komödisch. Seinem Gutsbesitzer kommen rührselige Tränen, als er spürt, daß Malchen ihn nicht hintergeht, sondern wirklich liebt. Bei Sasse dominiert umgängliche Aufgekratztheit und harmonisiert den zwiespältigen Menschenfeind. Eine sozialkritisch gewitzte Sicht war, scheint mir, ohnehin nicht im Konzept.

So begibt sich in attraktiver, märchenhafter Kulisse (Bühnenbild: Walter Schwab) gepflegtes Boulevard-Spiel. Sehr gut aufgelegt Claudia Kment als fröhlich-unverfrorenes Kammermädchen Lischen, auch Alexander Grill als gemütlich-serviler Bedienter Habakük mit exquisitem Paris-Tick. Blaß bleiben Claudia Widmann (Malchen), Peter Streimelweger (Dorn) und Eva Manhardt (Sophie). Die Couplets (Sasse, Kment) können sich hören lassen.

 

 

Neues Deutschland, 26. April 1990