„Antigone des Sophokles“ von Bertolt
Brecht an der Schaubühne Berlin, Regie Jean-Marie Straub und Daniele Huillet
Kein Aufschrei gegen Krieg und Tyrannei
Brechts „Antigone des Sophokles"
hätte als Botschaft gut und gern auf die Schaubühne am Lehniner Platz gehört.
Daß die Inszenierung des Filmregisseurs Jean-Marie Straub und seiner Frau
Daniele Huillet letztlich auf der Probebühne in Kreuzberg präsentiert wurde, scheint
mir allerdings verständlich. Der Jahrtausende alte Aufschrei gegen Krieg und
Tyrannei blieb fern und ohne geistige Sprengkraft.
Die Regisseure verzichteten auf Brechts Vorspiel (Berlin 1945, zwei Schwestern kommen aus dem Luftschutzkeller), anstatt es für Assoziationen etwa zum Golfkrieg zu nutzen (die verbale Anmerkung Straubs stattdessen in den Schlußapplaus der Zuschauer hinein war so engagiert wie deplaziert). Auf dem Theater zählt, was vorgeführt wird. Und dies war — in drei Leinwandflächen mit dem Bild eines antiken Amphitheaters (Ausstattung: Straub/Huillet) — ein unverbindlicher Stehkonvent.
Der Chor, die Alten von Theben, trabt in der
Antike nachempfundenen Kostümen zur rechten Seite, bleibt dort wie angewurzelt
in sterilem Arrangement stehen und redet seine Verspassagen herunter. Allenfalls
bei Rainer Philippi dringt Gedankliches in Geste und Vers.
Die Schwestern Astrid Ofner (Antigone) und
Ursula Ofner (Ismene) sind fehlbesetzt. Sie lassen nicht die Spur eines
schauspielerischen Impulses erkennen, sondern Mühe spüren, den Vers skandierend
aufzusagen. Davon wird Werner Rehm (Kreon) angesteckt.
Dabei geht es um elementare Vorgänge!
Antigone hat gegen königliches Gebot ihren Bruder Polyneikes beerdigt, wird dabei
ertappt und von Kreon zu Kerker verurteilt. Der thebanische Herrscher will mit
Druck nach innen einen Raubkrieg gegen Argos gewinnen.
Ahnung von diesem barbarischen
Hintergrund bringt Albert Hetterle als blinder Seher Tiresias auf die Bühne. Er
füllt den Vers gedanklich, er spricht eindringlich mit sparsamer Geste. Ähnlich
Michael König (Bote) und Libgart Schwarz (Magd). Auch der sich rechtfertigende
Kreon Rehms vermag zu überzeugen.
Die Entscheidung, im intimen Raum der
Probebühne ohne Masken zu spielen, ist gewiß richtig. Aber mit wenigen
illustrierenden Gebärden läßt sich dieser Untergang eines tyrannischen Herrscherhauses
szenisch nicht erzählen, geschweige denn bewerten.
Neues
Deutschland, 8. Mai 1991