„Der Auftrag“ von Heiner Müller, Uraufführung
im 3.Stock der Berliner Volksbühne, Regie Heiner Müller und Ginka Tscholakowa
Ein Verräter am
Pranger
»Der Auftrag",
das neue Stück Heiner Müllers, entstanden nach der Erzählung „Das Licht auf dem
Galgen" von Anna Seghers und uraufgeführt im 3. Stock der Berliner
Volksbühne, ist alles in allem eine erbarmungslose Abrechnung mit einem
Verräter der Revolution. Debuisson steht am Pranger. Er und seine
Kampfgefährten Galloudec, der Bauer, und Sasportas, der Farbige, waren als
Emissäre der französischen Revolution nach Jamaika geschickt worden, um dort
eine Revolution der schwarzen Sklaven gegen ihre Ausbeuter zu organisieren.
Weit waren die Vorbereitungen gediehen. Als die Nachricht von Napoleons
Machtantritt aus Frankreich eintrifft, verzagt Debuisson, tritt er vom Auftrag
zurück, begibt er sich zurück in den Schoß der Ausbeuterfamilie, von wo er
gekommen war.
Mag man sich
streiten, ob diese „Erinnerung an eine Revolution“, wie Müller sein Stück im
Untertitel nennt, zu ästhetizistisch ist in ihrer nicht leicht
nachvollziehbaren, sentenziösen Bildersprache, von der Regie (der Autor und
Ginka Tscholakowa) umgesetzt in eine barocke Theatrallk. Auch finden sich neben
großer sprachlicher Eindringlichkeit (mit oft verblüffend einfachen und doch
aussagekräftigen Wendungen) erstaunliche Plattitüden. Und schließlich macht die
die Gedanken verzögernde zelebrale Sprechweise der Schauspieler die Aufführung
zu einer zeitaufwendig-umständlichen Bestandsaufnahme.
Mag das alles sein.
Der Zuschauer kann sich der Faszination vor allem der letzten Szenen nicht
entziehen. Debuisson preist den Verzicht, windet sich wortreich aus seiner
Verantwortung, doch Galloudec (Hermann Beyer) putzt besonnen seine Waffe, und
Sasportas (Dieter Montag) attackiert den Verräter. Jürgen Holtz gibt dem
Debuisson eine schleichende Unberechenbarkeit, Kälte und hinterhältiges Kalkül
gegenüber den Kampfgefährten, dreiste Egozentrik in der Lobpreisung des Alten.
Eine darstellerische Bloßstellung des Verräters wie der Verräterei.
Junge Welt, 17.
Dezember 1980