„Baumeister Solneß“ von Henrik Ibsen am Nationaltheater Mannheim, Regie
Gerhard Willer
Mörderische Rache eines drolligen Trolls
Henrik Ibsen als Grotesk-Komiker. Wie doch Newcomer der Theaterregie immer wieder für Überraschung sorgen können! Was macht das schon, wenn sich zur Pause Zuschauer-Reihen lichten. Man ist dabei gewesen beim 33. Theatertreffen in Berlin. Buh-Rufe adeln. Matter Beifall jedoch ist ärgerlich. Er galt im Schiller Theater dem Gastspiel des Nationaltheaters Mannheim mit dem Schauspiel „Baumeister Solness" von Henrik Ibsen in der Regie von Gerhard Willer.
Zunächst einmal verblüffte, wie penetrant sich Christoph Coburger,
zuständig für die Musik, mit tönendem Krach, mit blubbernden, quäkenden und
schrillen Lauten, zwischen die Dialoge mischte. Nicht als dezente musikalische
Untermalung, sondern als vorlauter Kommentar. Objektiv eine anhaltend massive
Störung, gemeint aber wahrscheinlich als pfiffige Verfremdung des Herrn Ibsen.
Regisseur Willert nämlich glaubt, dem Dichter endlich auf die Schliche gekommen
zu sein. Und vermutlich dachte er, was er herausfand, kann nicht realistisch, sondern
nur grotesk gebrochen vermittelt werden.
Mit den Lesarten freilich ist das so eine Sache. Alfred Kerr beispielsweise
war noch vorsichtig gewesen, hatte in bezug auf Ibsens Schauspiel gefragt: „Wieviele
Dramen sind es; drei, vier nebeneinander. Fünf? ... Heißt das Werk ,Der Blender'
- ? Oder ,Der Emporkömmling'? Oder heißt es ,Der Künstler'? ,Der Schaffensmensch'?
Oder heißt es ,Die Macht der Wünsche'? ,Der Wunsch als Tat'? ,Die Wirkung in
der Ferne'? Oder heißt es .Schuld und Sühne'?" Willert vereinfacht den
Fall. Er läßt sich erst gar nicht darauf ein, komplizierte widersprüchliche Charaktere
zu erschließen. Er behauptet, dieser Baumeister Halvard Solness habe, als er
vor zehn Jahren eine Kirche eröffnete, auch ein Kind eingeweiht, nämlich die
damals zwölfjährige Hilde Wangel in die Mysterien der Sexualität. Bei Ibsen ist
von einem Kuß die Rede, einem glücklich-überschwenglichen wahrscheinlich, aber
was macht das schon.
Solness (Ronald Funke) also ist ein Sittenstrolch! Was er
natürlich als schlimme Bürde mit sich herumschleppt. Scheinbar ist er zwar
locker drauf, aber tief innen ist er verkrampft wie ein pubertär verklemmter
Pennäler. Erfolgreich im Beruf, aber eben scharf auf kleine Mädchen. Die
lüsterne Buchhalterin Kaja (Verena Koch), die ja eigentlich mit Zeichner Ragnar
Brovik verlobt ist, kann ihn um den Finger wickeln. Sie braucht nur ihren
Hintern gut zu positionieren. Wie sie überhaupt zu seiner erotischen Erbauung
ihr Becken geschickt durchs Büro zu bugsieren versteht. Frau Aline (Alberta Schatz)
hat sie damit längst ausmanövriert. Das Ehe-Herzchen, offenbar allerhand Kummer
gewöhnt, flüchtet in einen noblen Spleen. Vielleicht soll sie überhaupt einen
Sprung in der Schüssel haben. Aber das kriegt man nicht mit. Es wird einfach zu
undifferenziert Klamotte gespielt.
Am ärgsten trifft's Sylvana Krappatsch. Sie hat das Opfer
zu mimen. Hilde Wangel, das arme Kind, mit zwölf Jahren sexuell mißbraucht -
dennoch unsterblich verliebt, und zwar in den Übeltäter -, ist seither offenbar
verhaltensgestört. Zwar bringt sie nun immerhin zweiundzwanzig Jahre auf die Bretter,
aber sie hat exaltiert kindisch zu sein. Aufgezogen wie eine mechanische Puppe in
„Gebirgsuniform" - drei Gemsbärte am Jägerhut - hüpft, hampelt und
stottert sie auf der Bühne herum, demonstrierender Regie-Willkür folgend.
Willert, der den Text gern illustriert (bei „Kätzchen" muß sich Hilde auf
den Rücken legen und mit den Beinen strampeln), Willert möchte möglichst pur
einen drolligen Troll zeigen, der den Kobold im Baumeister wachküßt, ihn aufs
Gerüst treibt und damit den Solness in den Tod. Hildes raffinierte mörderische
Rache sozusagen. In deutscher Theaterprovinz läßt man sich eben etwas
einfallen.
Neues
Deutschland, 10. Mai 1996