„Der Biberpelz“ von Gerhart Hauptmann am
Deutschen Theater Berlin, Regie Thomas Langhoff
Wie eine Waschfrau deutsche Bürokraten
austrickst
Die unselige deutsche Amtsstube. Hier hat
Gerhart Hauptmann (1862-1946), der flexible Realist, mit seiner Diebskomödie
„Der Biberpelz" vor exakt 100 Jahren ein dramatisches Denkmal gesetzt.
Und Thomas Langhoff, zeitfühliger Regisseur, der er ist, hat das Stück jetzt am
Deutschen Theater in Berlin neu in Szene gesetzt. Einfach so als
freundlich-unterhaltsamen und auch kritischen Hinweis auf preußische Bürokratie,
die nicht totzukriegen ist, weder in Berlin, weder in Brandenburg noch sonstwo
im Reich.
Die Zählebigkeit der fossilen, aber eben lebendigen Erscheinung signalisiert auch Langhoffs Bühnenbildner Pieter Hein. Und zwar mit den Porträts der Staatsmänner, die, wie sich das gehört, in einer deutschen Amtsstube hängen. Zunächst ist's der Kaiser, dann sind's die „realen Sozialisten", am Ende schaut der Herr Bundespräsident ins Revier.
Und Waschfrau Wolff, die gewiefte Plebejerin,
ist noch immer zugange. Ihr kann man aber auch wirklich nicht böse sein.
Geschweige denn, daß man sie für eine Diebin halten könnte. Jutta Wachowiak
gibt sie als eine charmante Frau, die sich schick zu kleiden versteht,
gelegentlich gar ihren schönen Hintern dezent ins Treffen führt, ansonsten als
Urberliner Kind einfach von purer Rechtschaffenheit ist. Diese Wolff heuchelt
nicht. Sie ist grundehrlich, sogar wenn sie keck lügt. Das soll ihr mal jemand
nachmachen.
Natürlich ist ihr der Ehemann
unterlegen. Julius Wolff ist bei Horst Lebinsky
ein ungeschlacht-behäbiger Kerl, der sich seiner Frau nur erwehren kann, indem
er laut wird. Doch auch da hält sie mit. In der Amtsstube dann kann sie sogar
schon einmal wie eine Furie toben und sich bei den Mannsbildern Respekt verschaffen.
Aber meist - und dies graziös - setzt sie auf ihren jugendlichen Charme, gepaart
mit weiblicher Raffinesse. Solch einem Weib ist kein Bürokrat gewachsen.
Schon gar nicht Vorsteher Baron von Wehrhahn,
der neue Besen im Amt, der eine härtere Gangart herbeizuführen gedenkt im
Umgang mit Demokraten und allem, was danach ausschaut. Dieter Mann gibt eine
deliziöse Karikatur, eine gar nicht preußisch stramme, sondern kläglich im Anzug
hängende Person, ein wenig vertrocknet, aber zäh, einen manchmal wie auf Eiern gehenden,
plötzlich auch ziemlich mobilen Provinzchef, der nicht vordergründig borniert
ist, sondern sozusagen intelligent kastenbeschränkt. Ein armseliges Würstchen
im Dienste des Staates, aber selbstverständlich überzeugt von der Größe seiner
Mission da irgendwo am Rande von Berlin.
Ihm zur Seite Amtsschreiber
Glasenapp, der geflissentliche Untertan. Bei Klaus Piontek ein noch hurtig,
aber gebeugt schlurfender alter Herr, der seinen Vorgesetzten liebedienerisch
anzugrinsen versteht und schon im nächsten Moment durch seine Brille
verächtliche Blicke wie Giftpfeile auf unschuldige Bürger schleudert. Und schließlich
ist da Mitteldorf, der Amtsdiener, von Rolf Ludwig als in Staatsdiensten verschlissenes
Hutzelmännchen himmlisch komisch hingestellt.
Thomas Langhoff macht grundsätzlich
nicht in Naturalismus, er macht auch kein konventionelles Theater, wie ihm das
neuerdings vorgeworfen wird. Er offeriert unverbraucht frische Schauspielkunst,
profiliert die Charaktere, durchweg gestisch beredt in den Beziehungen,
theatralisch forciert allerdings und zur Satire zugespitzt. Dabei nimmt er die
liberalen Bürger nicht aus.
Rentier Krüger ist bei Kurt Böwe ein
sich mäßigender, jovialer, aber doch eben recht poltriger und egozentrischer Herr.
Und Axel Wandtkes Doktor Fleischer, von nobler Erscheinung, ist tatsächlich, wie
Wehrhahn das sieht, ein seltsamer Zeitgenosse, weil er einen Schiffer für einen
Dieb hält, nur weil der einen Biberpelz trägt.
Michael Walke als Schiffer Wulkow,
als geschäftstüchtiger kleiner Gauner, Bernd Stempel als studierter Forstmann,
Schreiber forst- und jagdlicher Sachen und Informant im Auftrage Wehrhahns, Barbara
Schnitzler als Frau Motes, Cathlen Gawlich als Tochter Leontine und Stefanie
Stappenbeck als Tochter Adelheid komplettierten ein homogenes und mit glänzender
Spiellaune antretendes Ensemble.
Ein wahrhaft ergötzender
Theaterabend. Viele Bravos, rhythmischer Beifall des hingerissenen Premierenpublikums.
Neues
Deutschland, 4. Mai 1993