„Biedermann und die Brandstifter“, Lehrstück ohne Lehre von Max Frisch im Staatstheater
Stuttgart
Noch eben wettert der biedere Herr Biedermann,
Fabrikant von Haarwasser, gegen die Brandstifter, die man allesamt aufhängen
sollte, da wird ihm ein Hausierer gemeldet. Er wünscht ihn nicht zu sehen. Doch
der Mann, Schmitz, ein ehemaliger Ringer, bahnt sich den Weg in die Wohnstube,
setzt sich dreist an den Tisch und läßt sich vom Dienstmädchen auftragen.
Obwohl Biedermann sein Mißtrauen nicht los wird, quartiert er den seltsamen
Gast auf seinem Dachboden ein. Bald kampiert noch ein zweiter Vagabund dort
oben, der Kellner Eisenring. Und schon stehen Benzinfässer unterm Dach. Der
Chor der Feuerwehrmänner kommentiert: „Um zu vergessen, was droht, stürzt sich
der Bürger sauber rasiert in sein Geschäft", und warnt: „Wissend auch du,
wie brennbar die Welt ist, Biedermann Gottlieb, was hast du gedacht? - Und
Gottlieb antwortet: „Meine Herren, ich bin ein freier Bürger, Ich kann denken,
was ich will. Was sollen diese 'Fragen? Ich habe das Recht, meine Herren,
überhaupt nichts zu denken — ganz abgesehen davon, meine Herren: Was unter
meinem Dach geschieht — ich muß schon sagen, schließlich und endlich bin ich
der Hauseigentümer ..." Darauf der Chor: „Heilig sei Heiliges uns,
Eigentum, was auch entstehe daraus, Nimmerzulöschendes einst..."
Biedermann eilt weg, und der Chor schlußfolgert: „Der die Verwandlungen scheut
mehr als das Unheil, was kann er tun wider das Unheil?" Nichts kann er
tun! Biedermann glaubt, wenn er mit den Brandstiftern paktiert, kann er den
Brand verhindern. Aber schließlich ist sogar er es, der die Streichhölzer gibt;
denn „wenn sie wirklich Brandstifter wären", hätten sie Streichhölzer.
Im Nachspiel Frischs finden sich Biedermann und seine
Frau Babette in der Hölle wieder. Es stellt sich heraus: In die Hölle kommt
„nichts als Mittelstand, nichts als Halbstarke", aber „kein einziger
Minister, kein Marschall". Der Himmel rückt keine Verbrecher heraus, alle
„Großmörder" werden von den Engelein mit Halleluja bedient. Begreiflicherweise
paßt das den Teufeln nicht. Der Teufel (Kellner Eisenring) denkt nicht daran,
eine Hölle für Biedermänner und für Kriegsdienstverweigerer zu führen. Er und
Beelzebub (Ringer Schmitz) schwingen sich wieder auf ihre Fahrräder und radeln
auf die Erde zurück. Dort ist die Stadt inzwischen in Chrom und Glanz
wiederentstanden. Und Biedermann ist gerettet; denn die Hölle ist geschlossen —
sie wird demnächst wieder auf der Erde sein.
Hier werden mit großem Verantwortungsbewußtsein das
faschistische Verbrechen und die Mitschuld der Großbourgeoisie angeprangert und
zugleich die neuerliche verderbliche Entwicklung in Westdeutschland kritisiert.
Übersehen wir, daß einige kritische Anspielungen des Dichters im Nachspiel,
insbesondere gegen den Klerus, in der Stuttgarter Inszenierung gestrichen
wurden. Beachten wir vielmehr, daß dieses Stück in der Spielzeit 58/59 an 19
westdeutschen Bühnen gespielt wurde. Die allegorische Überhöhung wird zwar von
vielen westdeutschen Zuschauern nicht verstanden werden, weil sie erzogen worden
sind, unpolitisch zu denken, aber das Stück zwingt sie immerhin, über
Brandstiftungen nachzudenken. Und daß hier mehr angesprochen ist als nur die
Vorsicht, auf dem Dachboden keine Benzinfässer zu dulden, nämlich auch die
Pflicht, am Ortsausgang keine Atomgeschütze zuzulassen, das sollte selbst dem
denkfaulsten Bürger aufgegangen sein.
SONNTAG, Nr.
51/1960