9. Die Herausforderung Brecht (1962 – 1975)

 

 

 

9.4  Renate Blume und Walter Plathe bewerben sich

Unter der Direktion von Rudolf Penka erreichte die Kollektivität der Entscheidung des Lehrerkollegiums in Aufnahmeprüfungen insofern eine neue Qualität, als Kollegen, die die Autorität von Wolfgang Heinz lieber hatte Zurückhaltung üben lassen, sich nun freimütiger äußerten. Das führte allerdings zuweilen zu schier endlosen Debatten, die im Sinne methodischer Selbstverständigung nicht immer fruchtbar waren. Letztlich aber wurden sie bestimmt von der großen Verantwortung gegenüber jedem möglichen, sich aber nicht immer auch gleich offen und klar zeigenden Talent. Gelegentlich stellte sich sehr schnell Einmütigkeit her, zum Beispiel bei Renate Blume.

 

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Renate Blume, Absolventin 1965

 

Renate Blume erzählt über ihren Weg zur Schule: «Bei mir fing alles mit einer Begegnung mit Professor Glaser an. Und zwar: Ich bin zunächst zum Kinderballett gegangen. Aber meine Eltern entschieden, daß das vielleicht nicht so der richtige Beruf für mich ist. Ich sollte Medizin studieren. Heulend ging ich ab von der Palucca-Schule, besuchte die Erweiterte Oberschule und rannte so oft ich konnte ins Theater, um mir Proben anzugucken, u.a. im Theater der Jungen Generation. Dort probte Frau Prof. Glaser als Regisseurin das Märchen "Aschenbrödel"...

Voller Neid blickte ich auf das Mädchen, das das Aschenbrödel spielte (Rosemarie Schelenz, sie hat dann mit mir studiert, das ist das Kuriose). Ich faßte mir ein Herz und sprach Frau Prof. Glaser an. Ich erzählte ihr meinen Kummer, daß es mit Tanz nichts mehr wird und daß ich unbedingt zum Theater gehen muß, denn das, was das Aschenbrödel da macht, das kann ich auch! Woraufhin sie weise lächelte und sagte: "Spiel mir doch mal was vor!" Ich aber hatte gar keine Ahnung. Was heißt denn Vorsprechen? Sie erklärte mir, das geht auch ohne Partner. "Da mußt du mir eben so vorsprechen, als wäre der Partner dabei. Oder du nimmst dir einen Monolog."

Das machte ich dann auch. Ich glaube, ich habe ihr den Giftmonolog der Julia vorgesprochen. Und daraufhin sagte sie mir: "Na ja, bewirb dich mal. Es könnte sein, daß sich das lohnt. Das ist sehr schwierig zu beurteilen überhaupt. Lerne mal ein paar Rollen." Ich habe mich mit ihr beraten. Wir haben uns entschieden für den Giftmonolog der Julia, für die Franziska aus «Minna von Barnhelm" und für die Esther aus «Romeo, Julia und die Finsternis» von Otcevásek/Urbanek. Ich war damals in der 10. Klasse, bewarb mich Anfang der 11. Klasse und wurde im Herbst zur Prüfung bestellt.

 

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Renate Blume (r.) im Bewegungs-Unterricht

 

Ich kann mich genau erinnern an die alte Probebühne. Aber wie es dann abgelaufen ist, kann ich mich nicht mehr so recht erinnern. Ich weiß nur noch, daß ich beim Giftmonolog bei "Halt, Tybalt!" fast vom Stuhl heruntergefallen wäre. Aber ich war so in meiner Vorstellung, daß ich sofort weitergespielt habe. Und dann habe ich auf dem Steg gesessen am Wasser und gedacht: Wenn die mich nicht nehmen, dann springe ich hier in die Spree. Sicher nicht, um zu sterben. Aber ich wollte beweisen, wie bitter ernst es mir war. Dann holte mich Herr Penka zu sich, lächelte mich an und sagte: "Wir sehen uns wieder!" Aber er sagte: "Nach dem Abitur!" Nun wusste ich: Ich muß erst da durch. So war es dann auch.» (9.19)

 

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Renate Blume in dem Film „Ohne Märchen wird keiner groß“ mit Wilhelm Koch-Hooge (l.) und Werner Tietze (r.)

 

Die 1944 geborene Renate Blume übernahm noch als Studentin die Rita in Konrad Wolfs Film «Der geteilte Himmel», mit der sie international bekannt wurde. Nach dem Studium ging sie zum Staatstheater Dresden, wo sie unter anderen Rollen die Lika in Arbusows «Leningrader Romanze», die Nadja in Gorkis «Feinde» und die Judith in Shaws «Teufelsschüler» spielte. Seit 1970 gehörte sie - ihrer Heimatstadt Dresden mit Gastspielen treu bleibend - zum Ensemble des Fernsehens der DDR. Ein bedeutender Erfolg der natürlich-charmanten Schauspielerin ist die Jenny in dem Fernsehfilm «Karl Marx - die jungen Jahre», wofür sie 1982 von der Sowjetunion mit dem Leninpreis für Literatur, Kunst und Architektur ausgezeichnet wurde.

 

 

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Walter Plathe, Absolvent 1972

 

Auch Walter Plathe gehört zu den Talenten, die die Prüfungskommission schnell überzeugten. Er bewarb sich 1968. Der inzwischen populäre Schauspieler erzählt über seinen Weg zur Schauspielschule: «Ich war ein bißchen vorbelastet. Der Großvater hatte in den zwanziger, dreißiger Jahren eine "Schmiere", ein kleines Variete. Davon wollten aber die Verwandten nichts mehr wissen. Ich sollte einen ordentlichen Beruf erlernen, überhaupt, in dieser Gesellschaft hätte das keine Perspektive. Sie sprachen da vom Variete.

Ich habe aber trotzdem nebenbei Kabarett gemacht, bin dann zu Heinz Draehn gekommen an die "Distel". Der hatte da eine Laientruppe übernommen. Dazu gehörten Bernhard Geffke, Jürgen Schlums. Eines Tages kam der Schlums und meinte, er würde sich bewerben an der Schauspielschule. Da haben wir mehr aus Daffke gesagt: Na, da machen wir das auch! Wir haben uns also dort beworben, die Aufnahmebedingungen geholt. Da stand eben: zwei Rollen nach Wahl, ein Lied, ein Gedicht. Ich hatte mir rausgesucht diesen Monolog vom Trullesand aus der "Aula". Ich muß ganz ehrlich sagen, ich hatte mich bis dahin nicht mit Dramatik beschäftigt. Ich habe mir die Rollen so ausgesucht: aufgeschlagen ein Buch, und wo einer allein einen Text hatte, damit habe ich mich dann beschäftigt. Dann hatte ich natürlich gehört: Brecht, darauf würden die Wert legen. Also nahm ich eine Szene aus «Furcht und Elend des Dritten Reiches». Dazu einen Tucholsky. Das hing vielleicht mit meiner Affinität zusammen zu diesen Dichtern.

 

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Walter Plathe im Szenenstudium mit Elvira Grecki in „Die Ratten“

 

Also wir kamen in die Schule, wurden aufgeteilt in verschiedene Gruppen. Schlums war in einer anderen als ich. Nun fing das an mit diesem Etüden-Spielen zum Lockermachen, wovon wir ja nichts wußten. Wobei ich im nachhinein sagen muß, daß es wirklich locker gemacht hat. Abgesehen davon, daß die Dozenten die Verhaltensweisen schon studieren konnten, war es für uns sehr gut, wir kamen uns ein bißchen näher... Ich weiß noch, daß man sich beim Trullesand sehr amüsierte. Was natürlich mir, der bisher nur Kabarett gemacht hatte, Anlaß war, noch einen drauf zu geben. Das war sicherlich an vielen Stellen zuviel. Aber es funktionierte.

Dann kam die sogenannte Urteilsverkündung. Da weiß ich noch ganz genau: Wir hatten durch irgendeinen Studenten erfahren - von den zehn Leuten werden höchstens drei genommen. Nun saßen wir in dem Raum, es wurde einer nach dem anderen reingeholt. Und jeder, der zurückkam und sagte, er sei nicht genommen worden, war eigentlich eine Chance. Es ist hart, aber es war so. Ich kam vor Schlums rein, und die sagten mir, sie würden mich zur Aufnahmeprüfung bestellen. Und um Schlums nicht die Illusion zu nehmen, habe ich gesagt: "Hat nicht geklappt!" Dann kam er zurück und sagte auch: "Hat nicht geklappt!" So sind wir geknickt da raus. Erst in der "Stumpfen Ecke", dieser Kneipe, wo wir ein Bier getrunken haben, haben wir es uns beide gestanden. Das war die Eignungsprüfung. Die Aufnahmeprüfung vollzog sich dann in ähnlicher Form.» (9.20)

 

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Walter Plathe mit Katrin Klein in der Fernsehserie „Rächer, Retter und Rapiere“

 

Der 1950 geborene Walter Plathe war zunächst am Theater der Freundschaft engagiert und spielte dort u.a. den Cosme in Calderons «Dame Kobold». Im Fernsehen der DDR, zu dessem Ensemble er gehörte, gab er u.a. den Wilm Sichler in der «Märkischen Chronik». Auch als liebenswürdiger Fernsehmoderator weiß er zu überzeugen. Inzwischen ist er ein beim Publikum sehr beliebter Gast im Theater am Kurfürstendamm in Berlin.

 

 

 

 

 

Anmerkungen:

 

9.19   Gespräch m. Renate Blume-Reed. v. 25.9.1985, Archiv G. Ebert, Tonb.-Aufz.    Zurück zum Text

9.20    Gespräch m. Walter Plathe v. 21.12.1985, Archiv G. Ebert, Tonb.-Aufz.   Zurück zum Text

 

 

 

 

 

 

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