„Julius Cäsar“ von Shakespeare auf der Freilichtbühne Rehberge in Berlin-Wedding, Regie Friedhelm Ptok

 

 

Römischer Diktator unter zwei deutschen Staatswappen

 

Im Berliner Wedding auf der Freilichtbühne Rehberge, wo sich zwischen Fichten und Birken durchaus Shakespeares „Sommernachts"-Elfen hätten tummeln können, arrangierte Regisseur Friedhelm Ptok eine politisch aktualisierte, vieldeutige Version der Tragödie „Julius Cäsar" (Bearbeitung: Hans-Joachim Heyse; Dramaturgie: Andreas H. Schott; Bühnenbild: Klaus Beyersdorff).

Vor der Waldkulisse ist ein großes Tor errichtet, der linke Flügel mit einem halben Bundesadler verziert (jenem wohlgenährten, zählebigen Nachkommen des preußischen Pleitegeiers), der rechte mit einem halben DDR-Wappen (jenem ambitionierten, vom Leben verschlissenen Zeichen für intelligente Arbeit). Beide Halbsymbole sind malerisch drapiert und vereint mit schwarz-rot-goldenem Fahnentuch. Seitlich im Orchestergraben finden sich Segmente eines Grenzzauns, den Cinna, der Poet, sogar flüchtig tätscheln wird. Auf Transparenten neben dem Tor Sprüche wie: Keine Macht für niemand. Wir fürchten, verwendet zu werden. Wir sind das Volk, aber Cäsar hat das Sagen.

Das Spiel beginnt mit einer Ton-Montage von der großen Berliner November-Demonstration 1989. Markante Sätze werden eingespielt. Van de Kamp, Schorlemmer, Schall, Gysi, Hein, Markus Wolf, Heym, Müller, Christa Wolf, Spira sind zu hören. Für Momente empfindet man noch einmal den revolutionierenden Optimismus jener historischen Stunden. Während der Rückerinnerung, hineingesprochen in die Ton-Konserve, werden dem Publikum die in schlichter Spielkleidung auftretenden Matadore der Tragödie vorgestellt.

Dann wird auf das Mikrofon verzichtet. Die komprimierte Handlung nach Shakespeare hebt an. Und der nachhaltig zu assoziativem Vergleich herausgeforderte Zuschauer gerät nun alleweil in Schwierigkeiten: Da soll ein Mann umgebracht werden, der dreimal die Krone verweigerte. Nur weil die Verschwörer befürchten, Cäsar könne zum Schaden Roms ein Tyrann werden. Erstaunlich frühe, verdammt drastische Vorsorge das! Die Aufführung nimmt das Volk aus dem Spiel (verwendet allerdings Ton-Einblendungen mit Rufen wie „Freiheit", „Deutschland", „Helmut") und konzentriert sich auf die Hauptfiguren, die vermögenden Römer.

Diese agieren sparsam in der Gebärde, rhetorisch klar, doch ziemlich einförmig und die Gestalten wenig charakterisierend. Julius Cäsar (Lothar Förster) hat Züge eines verknöcherten, selbstgefälligen Rechthabers, Marcus Brutus (Rainer Pigulla) ist vor allem der lautere Verschwörer, Cassius (Wolfgang Häntsch) der anstifterische. Marcus Antonius (Leon Boden) ist eher ein biederer Triumvir, wenig demagogisch in seiner Leichenrede für Cäsar.

Aber schauspielerische Nuancierung ist auf einer Freilichtbühne ohnehin schwer (schon wegen der Störfaktoren wie Flugzeuglärm oder Dauerregen). Eine Quintessenz immerhin drängt sich auf. Der Sturz eines Großen der Politik hat unvorhersehbare Folgen. Hier, ergibt sich, war sein Wirken gar nicht so absolut negativ, wie es die Verschwörer zunächst hingestellt hatten. Außerdem haben sie, die reichen Nachfolger, erhebliche Probleme bei der Aufteilung der Macht — sie ziehen erst einmal .gegeneinander in die Schlacht.

Nachdem die Querelen ausgestanden sind und Cäsar-Fan Marcus Antonius triumphiert hat, setzt die Regie noch einige Zeichen. Sie läßt ein Symbol vom Tor abnehmen, das Halb-Wappen, und fast pflegerisch abstellen. Dann wird Volker Braun zitiert, sein jüngstes Gedicht (ND vom 4./5. August 1990): „Da bin ich noch; mein Land geht in den Westen. KRIEG DEN HÜTTEN FRIEDE DEN PALÄSTEN..."

 

 

 

Neues Deutschland, 21. August 1990