„Don Carlos“ von Friedrich Schiller am Maxim Gorki
Theater Berlin, Regie K. D. Schmidt
Geschrumpfte Klassik
Um sechs Uhr begonnen. Um Mitternacht geendet. So Schillers »Don Carlos« 1909 unter Max Reinhardt in aller Ausführlichkeit im Deutschen Theater. Jetzt unter K. D. Schmidt im Maxim Gorki Theater: Reichlich drei Stunden. 1922 auf der expressionistischen Treppe bei Jessner im Staatstheater das Wort gehoben. Jetzt zwar auch auf einer Treppe, aber die Sprache auf unterer Stufe. 1952 unter Wolfgang Langhoff im Deutschen Theater Schillers Gestalten werktreu zwischen Volk, König und Inquisition. Jetzt Verzicht auf Rebellion und den Pöbel, der den Palast umringt.
Nun sind Striche gewiß nicht zu vermeiden. Schillers »Don Carlos«, in
dem man - so Thomas Mann - noch »den Sturm und Drang nachklingen« hört,
erscheint uns heute von allzu redselig ausschweifendem Idealismus. Doch sein
großes »dramatisches Gedicht« auf ein mittleres »dramatisches Kammerspiel« zu
reduzieren, läuft Gefahr - zumal bei zuviel sprecherischem Mittelmaß -
provinziell zu werden.
Ohnehin sind in Berlin Entwicklungen gestört. Kerr konnte einst auf eine
Skala »Meininger-L'Arronge-Reinhardt« verweisen. Aber heute? Das Schiller
Theater abgewickelt. Die Schaubühne meidet die eigene Tradition. Ergebnisse der
Ost-Theater werden erst einmal beargwöhnt. Der von Regisseuren wie Wolfgang
Langhoff und Wolfgang Heinz in Reibung mit Stanislawski und Brecht erreichte
sozial-realistische Umgang mit den Klassikern ist zerschlagen. In ganz anderen
Traditionslinien stehende Regisseure versuchen sich neu. K. D. Schmidt,
Szenator und Bühnenbildner, gut für konventionell-dekoratives Theater, gibt
vordergründig das höfische Intrigenspiel, erzählt aber auch von menschlicher
Unzulänglichkeit beim Aufbegehren gegen Tyrannenmacht.
Der verliebte Don Carlos (Harald Schrott emotional aufgeheizt), ein kindlich-naiver
Jüngling, hektisch, impulsiv, ungestüm. Er hat nur die Königin im Kopf. Ohne
Liebe aufgewachsen, hängt er sein Herz vertrauensvoll an Posa. Der edle Malteserritter
in bürgerlichem Habitus (von Till Weinheimer passabel vorgeführt) arbeitet
verhalten an der Verschwörung. Des Carlos' jugendliche Arglosigkeit kommt ihm
gerade recht. Aber den Händeln um Briefe und Schatulle ist er letztlich nicht
gewachsen. Spielerisch blaß und von dünner, meist unverständlicher Stimme
Karina Fallenstein als Königin. Beherzter operiert Anna Steffens als Prinzessin
von Eboli.
Markant die Konfrontation zwischen König Philipp und dem
Großinquisitor. Der absolute Herrscher - bühnenbildnerisch in einem düsteren
Spanien angesiedelt - entpuppt sich als willfähriges Instrument einer
gefährlichen, geheim operierenden Kraft. Albert Hetterle als Großinquisitor,
fast bewegungslos, doch bedrohlich im Hintergrund, hat das Format, auch mit der
Stimme gnadenlose Macht zu etablieren. Klaus Manchen als Philipp der Zweite,
ein wenig schmierig arrogant wie der Mafia-Boß einer Tele-Serie, wehrt sich
zwar, verteidigt seine Wankelmütigkeit, fügt sich aber letztlich als ein Rädchen
im Getriebe. Immerhin - zumindest am Ende gewinnt man den Eindruck: Hier geht
es eigentlich um große Politik.
Neues
Deutschland, 27. Januar 1997