„George Dandin“ von Molière in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Friedo Solter

 

 

 

Mehrfach tiefe Provinz

 

Daß einer, der zu viel Geld ge­kommen ist, mit seinem sozia­len Stande hadert und ihn auf­zubessern trachtet, kommt vor. Man weiß das. Molière (1622-1673) hat's vor über 300 Jah­ren auch schon gewußt und über derlei krankhaften Egois­mus seine Komödie „George Dandin" geschrieben. Friede Solter hat sie für das Berliner Deutsche Theater ausgegraben und in der etwas schnoddrigen deutschen Fassung von Vin­cent v. Wroblewsky in den Kammerspielen vorgestellt.

Dandin, Molières Held, ist ein reicher Bauer, dessen ma­terielles Vermögen offenbar weitaus umfangreicher ge­wachsen ist als dessen Fähig­keit, den Wohlstand auch gei­stig zu verarbeiten. So hat er sich denn als Ehefrau ausge­rechnet die von einem amü­santen bürgerlichen Leben träumende Tochter eines ver­armten Landadligen ins Haus geholt. Die Geldehe geht nicht gut.

Der in den zarten Fragen der Liebe unerfahrene Dandin, für den die Frau nichts als unter­würfig zu sein hat, wird von seiner jungen Angelique mit Clitandre, einem höfischen Gecken, betrogen. Und immer, wenn er glaubt, seine treulose Gattin überführen zu können, versteht diese, den Spieß um­zudrehen, so daß er sich vor ihrem Liebhaber und vor den Schwiegereltern entschuldigen muß. Er wird so gedemütigt, daß er aufgibt und ins Wasser zu gehen gedenkt.

Das alles ist, wie schwerlich zu erkennen, heutzutage viel­leicht mal gerade noch eine Af­färe, wenn sie ein Königshaus tangiert, so daß die Journaille Schlagzeilen vermarkten kann; ansonsten nimmt man kaum noch Notiz. Die soziale Brisanz mithin ist längst heraus aus dem Konflikt. Heißt das nun aber, nur noch simples, mit Ef­fekten verziertes Allerwelt-Theater zu machen?

Einigermaßen überraschend hat sich Solter eingefügt in den gefälligen Standard des bür­gerlichen deutschen Theaters, im Umgang mit dem klassi­schen Erbe den Menschen nicht auch in seinem sozialen, sondern nur in seinem natür­lichen Wesen zu erkunden. Brecht ist tot und hat gefälligst tot zu bleiben! Wie ästhetisch reizvoll wäre es gewesen, Dandin als neureichen Groß­grundbesitzer seiner Zeit vor­zustellen, der alles hat, was der Wohlstand verlangt, der aber die Etikette nicht beherrscht, der man sich nun mal beugen muß.

Dieter Montag hat ein stän­dig beschmuddeltes Bäuerlein abzugeben, das man für einen verarmten Schlucker hält. Molières Konflikt ist - aus Zeit und Gesellschaft gelöst - auf den Kopf gestellt. In abstrakten, grasgrünen Räumen, an eine Scheune erinnernd (Ausstat­tung Anna Cumin), hat irgend­ein mittelloser Tölpel Probleme mit seinem raffinierten Weib. Geschieht ihm recht, sagt man sich, wenn er vor der Ehe nicht genauer hingeschaut hat. Montag tut sich übrigens schwer mit dieser verqueren Lesart der Figur, wenngleich er es schafft, daß man an deren tra­gikomischem Geschick ein we­nig Anteil nimmt. Immerhin begreift Dandin, daß er sich sein fatales Los selbst einge­brockt hat.

Die Schwiegereltern, Mon­sieur de Sotenville und dessen Gattin, sind bei Solter nicht wie bei Molière verarmter Landa­del, ein Stand, der verzweifelt um Reputation ringt und in Sa­chen Dandin erfolgreich gegen den Abstieg rudert, sondern ein cleveres Pärchen aus wohl­habender, etablierter Schicht, das die Querelen mit dem Schwiegersohn glatt mit links erledigt. Eva Weißenborn greift denn auch flott in die Trickkiste ihrer Theaterrouti­ne. Otto Mellies macht das auch, nur läßt er sich dabei nicht so schamlos in die Karten gucken. Weil vom Adel die Re­de ist: Thomas Badings Höfling Clitandre ist ein wohlsituierter Operettenbuffo mit langem Schal und Strohhut, der sich effektvoll gestikulierend durch die Szenen hangelt. Mehrfach tiefe Provinz in den Kammer­spielen!

Bemerkenswert differenziert bewegt sich Susanna Simon als Angelique, auf deren Schicksal im Hause Dandin die Regie of­fenbar viel Aufmerksamkeit richtete. Der Simon junge Frau ist nicht einfach vergnügungs­süchtig treulos, sondern echt enttäuscht von ihrem in Lie­besangelegenheiten leider so schlimm versagenden Ehe­mann. Obwohl zwar auch hier kein Spiel um natürliche Liebe und soziale Etikette aufkommt, sieht man doch bei dieser Fi­gur, was der Regisseur, der am Hause einst Lessings „Nathan" bravourös sozial realistisch zu interpretieren wußte, eigent­lich zu bieten vermag. Das spü­re ich übrigens auch bei Tho­mas Neumanns widerborsti­gem, liebeshungrigem Bauern Lubin und bei Katrin Kleins schlauer Zofe Claudine.

 

 

Neues Deutschland, 9. Februar 1995