Die Blinden von Kilcrobally“ von George O’Darkney in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Johanna Schall

 

 

 

Ein Pfarrer spielt nicht mehr mit

 

An den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin erstellte Regisseurin Johanna Schall eine »bil­lige« Produktion. Sie verzichtete auf Büh­nenbildner und Ausstatter, hängte zwei große Vorhänge als Hintergrund, stellte ein paar Tische und Stühle als Vorder­grund und steckte ihre Schauspieler in Kostüme aus Fundusbeständen. Solch de­monstrativ »armes« Theater kann man sich selbst in Kriegszeiten nur leisten, wenn man auf die Vitalität des Stückes vertraut.

Johanna Schall hatte da ein gutes Ge­spür. Was sie als deutsche Erstauffüh­rung schauspielerisch differenziert kre­denzte, ist erfreulicherweise gar nicht »billig«. Das am Burgtheater Wien 1998 uraufgeführte, irisch tümelnde, O'Casey und Synge nachempfinden wollende Volksdrama »Die Blinden von Kilcrobally« von George O'Darkney (der ein deut­scher Politologe ist und Jörg Graser heißt) wartet mit provokanter Botschaft auf.

Ich übersehe nicht, daß andauernd be­richtende Dialoge geführt werden, und relativ wenig wirklich dramatisch ge­handelt wird. Auch war ich im Verlaufe des Abends fast geneigt, die soundsovielte Abrechnung mit Gott und seinen irdi­schen Gehilfen eigentlich echt langweilig zu finden. Doch schließlich überwogen aktuelle Assoziationen. Da steigt ein Pfar­rer total aus und spielt nicht mehr mit! Ein denkwürdiger Vorgang für Deutschland, wo gemeinhin und vor allem neu­erlich Staatsräson angesagt ist. Ehemali­ge DDR-Pfarrer und jetzige BRD-Politiker beispielsweise, einst hehre Streiter für Frieden ohne Waffen, gebärden sich als Kriegstreiber, statt sich vom barbari­schen NATO-Wahnsinn zu distanzieren und öffentlich zum Widerstand aufzuru­fen.

Tatsächlich, es handelt sich, wie vom Theater behauptet, um ein Gegenwarts­stück, um eine in deutscher Provinz leider höchst unwahrscheinliche Komödie, die wegen ihrer gefährlichen geistigen Divergenz so direkt in Germany natürlich nicht passieren darf. Weshalb Jörg Gra­ser den Konflikt verfremdend in ein Dorf an der irischen Westküste verlegte, wo die Leute bekanntlich von Natur aus schrullig sind, also das Ausflippen eines Pfarrers wahrscheinlich sein könnte. Wo­bei, das sei angemerkt, die Regisseurin inhaltliche Substanz keineswegs mit äu­ßerlichen Skurrilitäten verdeckt, in Sa­chen Kauzigkeit eher ein wenig zu zö­gerlich ist.

Den irischen Helden gibt in trefflicher Besetzung Eberhard Esche. Zum Auftakt kniet der Mann verdrießlich auf einem Koffer, den er aus seiner brennenden Kir­che gerettet hat, und schwankt zwischen anteilnehmender Erschütterung und of­fenbarer Freude darüber, daß das Got­teshaus in hellen Flammen steht. Das Lo­dern des Feuers und das Krachen der Balken gewittern auf seinem Gesicht. Me­lancholisch teilt er dem ebenfalls zu­schauenden, sich als arger Frauenheld entpuppenden Michael Crohane (Udo Kroschwald) mit, daß es keinen Gott gibt, weil der sich offenbar um den Verstand gesoffen hat (sonst nämlich würde er das Feuer löschen). Welche Mitteilung den Crohane zwar irritiert, aber noch nicht in Rage bringt.

Das wird prompt anders, als der Pfar­rer nun auch noch verkündet, daß das Beichtgeheimnis in der Kirche verbrennt, also einige unbequeme Wahrheiten an den Tag kommen werden. Die Menschen sollen sehen, wer sie wirklich sind. Womit der Pfarrer an den Grundfesten der Kilcrobally-Ordnung rüttelt. Als Sarah, Crohanes momentane Geliebte (Eva Wei­ßenborn), von dessen Frauen-Geschich­ten erfährt, überwirft sie sich mit ihm; und er steckt den Pfarrer in einen Sack. Um dem möglichen Tode zu entgehen, erzählt der dem Crohane, was es mit den sieben Blinden auf sich hat, die in Kilcrobally ihr Leben fristen. Randolph Doogan, der Wirt vom »Schwarzen Esel«, hat ihnen nämlich »Baumgeist« serviert, Me­thylalkohol, woran sie erblindet sind. Mit welcher Information nun Crohane den Doogan unter Druck setzt, und der bringt ihn kurzerhand um.

Irgendwie und letztlich sind's denn doch gängige Klischees von Erpressung und Totschlag. Die Schauspieler machen es erträglich. Bestechend Christian Gras­hof als verbrecherischer Wirt Doogan, der - mit Stichworten aus der Bibel ge­rüstet - unverblümt das Morden preist. Irgendwie scheint dieser scheinheilige Biedermann mit seinen perfiden Argu­menten just einer aktuellen Glotze ent­stiegen zu sein. Irrwitzig grotesk die Sze­ne mit seiner Braut (Cornelia Schirmer), wenn er sie quält und anspuckt in der Gewißheit, daß sie als gute Katholikin al­les erdulden und sogar um sein Seelenheil beten wird.

Aber man muß nicht verzweifeln am Menschen. Der Pfarrer kehrt wohlerhal­ten zurück und erteilt der Heuchelei endgültig eine Absage. Eberhard Esche spielt das dezent und verschmitzt so, als fordere er zur Nachahmung auf. Herzlicher Bei­fall.

 

 

 

Neues Deutschland, 13. April 1999