„Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht am Theater Anklam, Regie Lothar Toussaint

 

 

 

An die Grenzen der Möglichkeiten

 

Anklam geht mit der „Dreigroschenoper" an die Grenzen seiner Möglichkeiten, insonderheit was die Personnage betrifft. Die Leistung des einsatzfreudigen En­sembles nötigt zu Achtung und Respekt. Wenn die Inszenierung darüber hinaus Beachtung verdient, dann wegen Lothar Toussaints angemessenem Verhältnis zum Stück. Hier soll niemand belehrt werden über etwas, was er ohnehin schon weiß. Vergnügen ist gemeint und stellt sich her, nicht durchweg, aber auffallend. Das Ansiedeln des Konflikts in den zwanziger Jahren freilich ist kaum ein Gewinn. Brecht hatte die victorianische Zeit vorgegeben, und hierin sollten wir ihm folgen. Es besteht kein Grund, die Konkretheit des Geschehens zu verschlei­ßen. Ein wenig wird das am Bühnenbild Udo Genschmers spürbar, das im übri­gen praktikable Spielräume erschließt. Der Vorzug: Toussaint orientiert auf die Auseinandersetzung zwischen dem Gau­ner alter Schule Peachum und dem potentiellen Bankier Macheath, womit das Streitobjekt, die Peachum-Tochter Polly, deutlicher ins Blickfeld rückt. Die Debütantin Marianne Rudat, grazil in den Songs, hatte etwas Mühe mit der derben Direktheit der ins Geschäft aufsteigenden Macheath-Gattin, obwohl der Punkt, da sie ihres Gatten Werk übernimmt, deut­lich erzählt wird. Deutlich zeigt sie auch ihr Fertigsein mit dem Fall Macheath, wenn sie den eingelochten Gauner trauernd noch einmal besucht. Macheath ist in der Darstellung von Gerhard Fiebig in Gebaren und Diktion ein aufpolierter Provinzhai. Wenn er seine Platte zur Ordnung ruft, macht er das mit großer Anstrengung und Geste, statt souverän, knapp und ohne viel körperlichen Auf­wand. Nun spielt Fiebig ohnehin zu energieaufwendig. Intensiver, gut ge­meinter Einsatz steigert sich bei ihm zu schlimmem Outrieren. Zu oft starrt er blasiert in den Schnürboden, statt lebendige Aktion vom Partner abzunehmen. Gut, wie er die vitale Lucy (Karin Miguhl) handgreiflich zur Hilfe überredet, da stellt sich konkrete Beziehung ein, da ist ein hübscher gestischer Einfall im Spiel. Peter Panhans schiebt den Peachum anhaltend-gemessenen Schrittes durch den Laden, die Hände auf dem gut genährten Bäuchlein ruhen lassend. Ursula Hartung gibt eine gestisch skurrile Celia Peachum. Wolfgang Arndt stattet den Pastor Kimball mit stillem, freundli­chem Humor aus, verstört das Weite suchend, als sich Macheath und Brown (Gerhard Schönerstedt) als intime Freunde entpuppen.

Die Songs (musikalische Einstudierung: Ingeborg Maier-Waelde) werden nicht herausgestellt, sondern ins Spiel inte­griert, damit das „Kriegsfüßige" von 'Lehrhaftem und Vergnüglichem mildernd. Wahrscheinlich ein Versuch, der hilft, das Stück aus überkommenem, einst richtigem, jetzt überholtem theatralischen Modell herauszulösen.

 

 

(Fortsetzung mit „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ am Berliner Ensemble)

 

 

Theater der Zeit, 6/1975