„Die Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht,

Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz,

Regie: Wolfgang Pintzka

 

 

Fabel unmittelbarer

 

 

Durch die umfassende Hilfe, wie sie am Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz vom Berliner Ensemble geleistet wurde, flossen außerordentlich produktive Kräfte in ein Ensemble, das — wie viele Theater der Re­publik — infolge angestrengter Arbeit viel­fach kaum die Muße findet, sich neue Be­reiche seines Schaffens zu erschließen. Die uneigennützige Hilfe von außen provozierte die Beschäftigung mit Neuem, Ungewohntem, Nützlichem.

Leider kenne ich das Görlitzer Ensemble nicht so gut, daß ich sagen könnte, inwieweit mit Wolfgang Pintzkas Inszenierung ein höheres Niveau erreicht wurde. Das muß die örtliche Kritik prüfen. Bestimmender Ein­druck ist, daß ohne verschwommene Gestik, ohne theatralische Drücker mit offensichtlichem Vergnügen klar und überschaubar Vorgänge gespielt werden. Und natürlich ist sofort deutlich, daß es sich um eine Modell-Inszenierung handelt. Der Zuschauer, der das Berliner Vorbild Erich Engels kennt, ist stets versucht, mit der entsprechenden Szene in Berlin oder mit dem entsprechenden Dar­steller zu vergleichen, da er zwangsläufig immer wieder darauf gestoßen wird. Das ist zwar ein Nachteil für den Zugereisten, dessen objektives Urteil darunter leiden kann, ist aber gar nicht die Frage; denn es wird selbstverständlich für Einheimische gespielt. Und da zeigt sich der Vorteil einer Modell-Inszenie­rung: Der Regisseur vermag von einem bereits ausprobierten, bewährten szenischen Gerüst auszugehen, das das Ergebnis gründlicher wis­senschaftlicher Studien ist. Und er kann je nach seinem eigenen Vermögen und dem der Darsteller weiter daran arbeiten.

Wolfgang Pintzka konnte nicht allzuviel Zeit auf brillante Details verwenden. Er hat von vornherein auf diesen „hauptstädtischen Luxus" verzichtet und die Schauspieler auf den wesentlichen Vorgang orientiert. Das er­weist sich als Positivum: Der Zuschauer wird nicht von der Fülle darstellerischer Kabinettstückchen abgelenkt und daher unmittelbarer mit der Fabel konfrontiert. Dies macht obendrein wett, daß hier und da das Detail einer im Prinzip richtig angelegten Aktion oder Reaktion unausgeformt bleibt.

Die junge Ursula Körbs überrascht mit einer herb-strengen Polly Peachum, der man die Gangster-Chefin eher glaubt als der hervorragenden, aber weicheren, vorder­gründig-naiveren Regine Lutz. Diese Polly ist kein kleinbürgerlicher Trotzkopf gegenüber den Eltern, sondern eine Emanzipation erheischende kleine „Privatrebellin". Peachum kommt bei Karl M. Steffen um einige Grade unerbittlicher, geschäftstüchtiger als bei Norbert Christian. Das hat hier aber zur Folge, daß er gegenüber Brown (Helmut Bergel) zum Ankläger wird und das Publikum sich auf seine Seite zu schlagen droht. Eber­hard Schäfer als Macheath sollte härter, un­verschämter auftreten. Wenn er zum Beispiel im Bordell zur Flucht ansetzt, geschieht das zu lahm, zu energielos. In weiteren Rollen Katharina Tuerschmann (Frau Peachum), Eva Schäfer (Spelunken-Jenny) und Roman Silberstein (Münz-Matthias).

Wolfgang Pintzka hat sich mit dieser Inszenierung als fähiger Regisseur an­gemeldet.

 

SONNTAG, 19. Februar 1961