„Edward II.“ von Christopher Marlowe in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Wolfgang Engel

 

 

 

Regiert uns gefälligst besser!

 

Wer heutzutage auf deutscher Büh­ne davon erzählen möchte, wie ungeheuerlich staatliche Macht den Menschen pervertieren kann, muß zurückgreifen auf Dramatiker, die sich in ihrer Zeit nicht scheuten, den Herr­schenden auf die Finger zu klopfen. Chri­stopher Marlowe (1564-1593) aus Canterbury, Zeitgenosse Shakespeares, Sohn eines Schuhmachers, ist so einer. Mit sei­ner Haupt- und Staatsaktion »Edward II.« leuchtete er gehörig hinter höfische Ku­lissen.

Unverblümt erzählt Marlowe von ei­nem König, dem sein homoerotisches Vergnügen wichtiger war als national­staatliche Belange - ein Konflikt, an dem etliche Unschuldige tragisch zugrunde­ gingen. Wie das gemeinhin zu geschehen pflegt, wenn Regenten ihre Macht miß­brauchen. Wobei angemerkt werden
muß, daß zu Marlowes Zeiten ein Macht­hungriger - ob König oder Fürst – noch höchstselbst auf dem Schlachtfeld um sein führendes Haupt focht, was be­kanntlich aus der Mode gekommen ist.

Den rundum widrigen historischen Fall in Sachen Staats- und Gemeinwohl inszenierte Wolfgang Engel, Intendant des Leipziger Schauspiels, in den Kam­merspielen des Deutschen Theaters Ber­lin. Ums Uralt-Spektakel anzukurbeln, läßt er seine Spielschar aufmarschieren und zu Thomas Hertels griffiger Musik fröhlich Beine schlenkern, wie das Mi­chael Flatleys Londoner »Feet of Flames«-Ensemble faszinierend macht. Weil aber Schauspieler bei aller Mühe, die sie sich geben, so perfekt nicht tanzen kön­nen, bleibt ein Eindruck von Unbeholfenheit, der sich leider hartnäckig hält, obwohl Engel die Hopserei alsbald sein läßt und sich aufs Stück konzentriert. Ei­ne Geschichte, sei sie noch so verwickelt, knapp und übersichtlich kommunikativ zu offerieren, ist nach wie vor seine Stär­ke.

Des Edwards Anmaßung und Unter­gang begibt sich auf düster gehaltener Bühne, in einem verwinkelten Sperrholz-Palast auf der Drehscheibe (Bühnenbild Franz Koppendorfer). Kleine Spielwelt fürs große Fallbeispiel. Guntram Brattias Edward, kindischer vernarrt in seinen Liebhaber Gaveston als in seine Papp-Krone, ist von zügellosem Temperament, ein chaotischer Charakter, weniger ein Held und Riese der Renaissance, eher deren Clown. Beklommenheit im Zu­schauerraum.

Direkte aktuelle Bezüge in Eva Walchs moderner Übersetzung sind Zufall. Etwa der Vorwurf eines ungeduldigen Peers gegenüber seinem Herrscher: »Regiert uns besser!« Worauf die untertänigen Grafen vergebens warten. Intrigen. Türen schlagen, Lauschen, Verstecken. Und im­mer wieder trocken lakonisch servierte profane Sätze. »Schmeiß ihn raus!« -»Ich schmeiß ihn nicht raus!« Gegen den Widerstand des Adels begünstigt Lotter­bub Edward II. seinen Gaveston (Tom Quaas). Er macht ihn zum Hofmarschall des Reiches. Peers, die eine Lippe riskie­ren, ohrfeigt er. Und seine Frau Isabella (Ulrike Krumbiegel) demütigt er. Sie, zerbrechlich wie eine Puppe, raffiniert wie eine Schlange, gebiert die Idee, Edward zu ermorden.

Die Adligen, gekleidet wie faschistoide Landjunker (Kostüme Katja Schröder), riskieren den Bürgerkrieg. Elende Haue­rei. Edward und Gegenspieler Graf Mortimer (Daniel Morgenroth) verknoten sich. Man überlebt. Der König als Sieger, der Aufrührer als Gefangener. Aber der Graf von eiskaltem Kalkül kommt frei, buhlschaftet mit der Königin und dingt den Mörder.

Bevor der zur Tat schreitet, gibt's Jau­che aus dem Schnürboden, den einge­sperrten König zu martern. Szenische Er­findungslust.

Der Abend, entstanden in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Schau­spielkunst »Ernst Busch«, bringt interes­santen Nachwuchs ins Spiel, spreche­risch durchweg gut drauf, darstellerisch beachtlich.

 

 

Neues Deutschland, 15. Februar 1999