„Die Regierung des Königs Edward III.“ von Shakespeare an den Bühnen der Stadt Köln, Regie Frank-Patrick Steckel

 

 

 

Dolch und Tugend

 

Ein angeblich früher Shakespeare, abgeklärt wie das Werk eines grei­sen Barden, abgehangen wie ein al­ter Theaterschinken. Im Streit um die Frage, ob diese »Regierung des Königs Edward III.« vom großen Briten stammt, neige ich trotz Computeranalyse dazu, mich bei den Zweiflern einzureihen. Zu­mindest nach Besichtigung der Inszenie­rung von Frank-Patrick Steckel, die er an den Bühnen der Stadt Köln besorgte und die jetzt im Rahmen des 37. Berliner Theatertreffens zu sehen war. Mir scheint verständlich, warum das Drama, das 1596 erstmals und ohne Verfassernamen veröffentlicht wurde, nicht in die Folio-Ausgabe von 1623 aufgenommen wurde. Es hat nicht die dramatische Verve Shake­speares, es schleppt sich dahin wie das langstielige Konvolut mehrerer Schreiber, die ihre Anteile allerdings einigermaßen routiniert zusammenfügten.

König Edward III. (1312-1377) rüstet wegen Erbstreitigkeiten zum Kriegszug gegen Frankreich. Doch zunächst muss er die abtrünnigen Schotten befehden, deren König Grenzstadt nach Grenzstadt über­fiel und jetzt Burg Roxborough samt Grä­fin von Salisbury eingeschlossen hat. Nach Befreiung der Burg mietet er sich erst einmal dort ein, weil er sich für die Gräfin von Sa­lisbury interessiert, eine ziemlich hausba­ckene Schöne. Im Stile mittelalterlicher Minne bastelt er innig an seiner Liebe. Und zwar so sehr, dass die verheiratete Dame zum gängigen Tugendkodex und zum Dolch greifen muss, um den verheirateten König und sittlichen Liederjan zur Besinnung zu bringen.

Was freilich nun nichts anderes heißt, als dass der enttäuschte Haudegen sein wahres Gesicht zeigt und statt ins Lotter­bett in den fälligen Krieg gegen Frankreich zieht. Gewissermaßen Drama im Drama und Kernstück ist Edwards perfide Tour, seinen Sohn, den Prinzen Edward, kaltblütig als Kriegswerkzeug zu benut­zen. Als dem Sohn in der Schlacht beige­standen werden müsste, überlässt er ihn seinem Schicksal. Wobei der Verfasser dieses Teils das Hin und Her der Kampf­handlungen überwiegend kontemplativ lieferte. Prinz Edward entpuppt sich als echter Schlächter und schleppt das Haupt des besiegten Königs von Böhmen als Trophäe herbei. Er wird vom Vater zum Ritter geschlagen und träumt schon von neuen Kriegszügen gegen Spanien und die Türkei. Der Mann ist programmiert für die Rosenkriege.

Regisseur Frank-Patrick Steckel, der mit Ludwig Tiecks Übersetzung aus dem Jahre 1836 nicht zufrieden war und eine eigene, sich heutig gebende Dichtung fer­tigte, hat - wie mir scheint - Scharten und Kanten geglättet, wo Shakespeare, so er es denn war, vielleicht in seiner unverblüm­ten Drastik und Widersprüchlichkeit zu fassen gewesen wäre. Und als Regisseur seiner deutschsprachigen Erstaufführung versucht er gar nicht erst, einen jungen, ungestümen Briten zu behaupten, stattdessen sorgt er für weitere Ungewissheit hinsichtlich des Verfassers, indem er das Stück a priori in die strenge Statuarik ei­ner formalisierenden Ästhetik zwängt.

Zum Auftakt sitzt die Personnage steif hinter einer Marmorbarriere, die dann als eine Art Spielleiste fungiert. Vor, neben oder hinter ihr stellt der Regisseur seine Gestalten wie Puppen auf, und dann spre­chen sie mit gemessenen Gebärden ihren Text. Das wird einigermaßen anmutig gemacht, ohne Zweifel. Thomas Bischofberger zeichnet sich aus als Prinz Edward, Bert Oberdorfer als König von Frankreich. Aber es werden halt nicht soziale Bezie­hungen zwischen Menschen konkretisiert, sondern eine im Grunde heile Theaterwelt zelebriert. Mit ein bisschen Krieg eben.

Anstatt die ungeheuerliche Menschen­verachtung des Kriegstreibers Edward III. kritisch wertend ins Bild zu bringen, vor allem dessen infame Instrumentierung des Sohnes, führt die Regie einen eigent­lich ganz netten König vor. Jochen Tovotes biedermännischer Edward geht die Dinge grundsätzlich nonchalant an. Ein wenig aus der Fassung gerät er als Verliebter. Da windet er sich schon mal an der Rampe oder kraucht auf allen Vieren. Krieg führt er mit arroganter Beiläufigkeit. Und die wird vom Schauspieler nicht aus- und bloßgestellt, sondern hingenommen.

Formalisierungen legen sich lähmend über die eigentliche poetische Substanz: den Aufschrei der Verfasser gegen Kriegswahnsinn. Statt menschlich Ab­gründiges auszuloten, wird mit Äußer­lichkeiten Eindruck gemacht. Die edlen Kostüme der Engländer sind gezackt ge­mustert, die der Franzosen mit Punkten geschmückt (Bühne und Kostüme: Andrea Schmitt-Futerer). Die Schotten werden als etwas dümmlich vorgeführt, mit platt­deutschem Axiom radebrechend, einge­packt in zottige Bärenfelle. Die Franzosen agieren mit etwas spöttisch verfremdeter verhaltener Grandezza. Bedauerlich im­mer wieder die relative Starre der Figu­ren. Noch eben wurde Prinz Edward tot­gesagt, aber keine Regung bei Königin Philippa, als er plötzlich als heiler Sieger auftritt.

Ralf Rarster hat schöne, konkrete Mo­mente, wenn er als dichtender Vertrauter des Königs dessen Liebesschwärmerei trocken in Frage stellt. Solch Ausspielen der Situation ist rar in dieser stolz, präch­tig und neutral im Raum stehenden, ein feierlich-elegisches Pathos pflegenden In­szenierung.

 

 

 

Neues Deutschland, 11. Mai 2000