„Bruder Eichmann“ von Heinar Kipphardt am Deutschen Theater Berlin, Regie Alexander Stillmark

 

 

 

Präziser Stil aus überlegener Distanz

 

Nach Inszenierungen an mehreren Bühnen der Republik nun eine Aufführung am Deutschen Theater in Berlin: Heinar Kipphardts Schauspiel „Bruder Eichmann". Alexander Stillmark führte Regie. Erfahren im Umgang mit Stücken dokumentarischen Zuschnitts, wählte er eine betont sachliche Spielweise. Das Bühnenbild (Heinz Wenzel) zeigt eine Ausstellung über die Verbrechen der deutschen Faschisten. Besucher verweilen, gehen vorüber — und spielen das Stück. Damit ist Abstand gewonnen.

Der Darsteller des Eichmann. Thomas Neumann, liest zunächst wie zufällig den Text, macht sich zurückhaltend, verwundert mit dem Unfaßbaren vertraut. Dann gibt er einen vielleicht zu jungen, zu ungebrochenen Eichmann, aber doch präzise den Bürokraten des Verbrechens. Da ist ein intellektueller Kleinbürger, der mit lockerer, bemüht lauterer Redseligkeit — immer noch ganz in den nazistischen Denkkategorien argumentierend — darauf aus ist, der Nachwelt ein „richtiges" Bild seiner Person zu hinterlassen. Das „Monster", der Erfüllungsgehilfe, der sich noch vor Gericht hinter Befehl und Eid „gewissensgeschützt" versteckt.

Hervorragend Dieter Mann als Gefängnisdirektor Ofer, ein Mann von kühler, überlegener Distanz gegenüber dem Verbrecher, hart, konsequent, ruhig, nicht seelenlos. Auch der Hauptmann Chass Klaus Pionteks nicht. Mit disziplinierter Geduld arbeitet er die Gespräche mit Eichmann ab, ein wissender, souveräner Anwalt der Toten. Christine Schorns zurückhaltende Psychiaterin hat durchaus auch ein gewisses persönliches Interesse an diesem besonderen Fall. Eindrucksvoll Heinz Hinze als Überlebender von Nagasaki; Käthe Reichel als Überlebende der Todeslager.

Eine sehr genaue, szenisch dichte Aufführung, Zeichen setzend: Die Mörder sind nicht mehr unter uns, aber gegenwärtig.

 

 

Neues Deutschland, 20. April 1984