„Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams in der Tribüne Berlin, Regie Folke Braband

 

 

 

Vom Zwang zur Anpassung

 

Zugkräftiges Theater. Worin mag das heutzutage bestehen? Heißt das Aufwerfen allgemein bewegender, sozial brisanter Probleme? Oder ist eifriges Wühlen in der wunden Seele irgendeines Individuums dieser hoffnungslos kranken Menschheit gefordert? Geht es um Anteilnahme im Zuschauerraum oder um immer neue Brüskierung gerade noch zahlungswilliger Kunden? Wird gediegene Schauspielkunst gewünscht oder reicht schon verquere Gymnastik diverser Figuranten?

Viele Fragen. Niemand weiß eine brauchbare Antwort. Eines allerdings wissen alle Theaterleute ziemlich genau: Es wird immer schwieriger, die Leute ins Theater zu locken. Subventionierte Bühnen wollen vor allem originell sein - was immer sie darunter verstehen mögen -, private Bühnen hingegen setzen gern aufs Bewährte. Und das ist noch immer das solid gespielte psychologisch-realistische Drama.

Beim Amerikaner Tennessee Williams (1914-1983) beispielsweise, dessen weltberühmte »Endstation Sehnsucht« jetzt an der Berliner Tribüne zu besichtigen ist, trägt sich alles fein natürlich zu. Wobei - logisch - nicht der Normalfall interessiert, sondern der besondere Konflikt. Stanley Kowalski, ein unverbrauchter Proletarier, trifft auf einen »Paradiesvogel«, eine modisch attraktive, seelisch verschlissene Aristokratin, Blanche Dubois, die seine Schwägerin ist. Was ihn nicht hindert, sie zu vergewaltigen und die nun völlig Verstörte roh und gefühllos in eine Irrenanstalt überführen zu lassen.

Wer nähme nicht Anteil am Schicksal dieser Lehrerin. Die Tochter vermögender Eltern hat den Familienbesitz verloren und ihren Ehemann, der sich wegen seiner Homosexualität umbrachte. Sie tröstet sich mit einem siebzehnjährigen Schüler, wird aus dem Schuldienst entlassen, flieht in die Prostitution. Bei Stella, ihrer Schwester, sucht sie schließlich Zuspruch und Unterkommen. Eine letzte Hoffnung zerrinnt; Stanleys Freund Mitchel, den sie bei Stella kennenlernt, wendet sich von ihr ab. Und dann dieser brutale Schwager. ..

Vorgänge genügend, auf der Bühne in Leidenschaft und Gefühl zu schwelgen. Zur Eskalation der Gewalt noch ein wenig Atmosphäre vom französischen Viertel in New Orleans, die scheppernde Straßenbahn der Linie »Sehnsucht« etwa -und schon fühlt sich der Zuschauer ein in diesen ja gar nicht so ungewöhnlichen Alltag armer Leute, in deren Leben zwischen Wunsch und Wirklichkeit, Hoffnung und Enttäuschung. Regisseur Folke Braband und sein Bühnenbildner Tom Presting vermeiden erfreulich jede Sentimentalisierung. Nicht einmal ein naturalistisches Interieur, nur karge Ausstattung. Zurückhaltend Andrew Hannan mit der Musik. Konzentration auf ein emotional ausgewogenes, sachlich-direktes Spiel.

Die Blanche der jungen Andreina de Martin, gut anzusehen, bringt allerhand Vornehmheit ein, bis hin zu einer leise manierierten Sprechweise. Ich glaube ihr die nach wie vor auf Männer fixierte Frau. Aber was die Zerrüttetheit der Blanche betrifft, die Paranoikerin, deren Taumel zwischen Dasein und Wunschvorstellung, deren Flucht in den Alkohol, hat sich die Regie, scheint mir, zu früh zufrieden gegeben.

Den derb direkten Stanley gibt Frank-Michael Köbe mit eloquentem körperlichen Ausdruck, ein unwirscher, brutaler Kerl von rüder Kraft, nicht ohne trocken­sarkastischen Humor und rauhe Zärtlichkeit. Die Stella der Eva Mannschott fügt sich gut zu ihm, zwar ist sie auch eine Dubois, aber eine ohne Illusionen, locker naiv an die Umstände angepaßt, zufrieden an der Seite Stanleys, dem sie sexuell hörig ist. Einen stämmigen, biederen Harold Mitchel gibt Frank-Lorenz Engel.

Viel Beifall in der zur Premiere ausverkauften Tribüne.

 

 

Neues Deutschland, 14. Oktober 1996