„Welche, von den Frauen“ von Alfred Matusche im Berliner theater 89,
Regie Hans-Joachim Frank
Ein Aktivist der ersten Stunde
Das theater 89 in Berlin-Mitte beheimatet, in der ehemaligen
Wilhelm-Pieck-Straße, wagt einen Ausflug in das Theater am Halleschen Ufer, ins
einstige Domizil der Westberliner Schaubühne, die dort - als ein
zeitgenössisches Experimentiertheater - von 1962 bis 1981 in den Ruhm aufstieg.
Eine ehrgeizige junge Truppe hat sich jetzt auch um Hans-Joachim Frank
versammelt, der -
wie damals Peter Stein - auf soziales Anliegen und
subtile Schauspielkunst setzt. Aber andere Verhältnisse, bescheidenere
Bedingungen.
Erfreulich: Das Vermögen des Regisseurs, ohne äußerliche Effekte geradezu greifbar theatrale Atmosphäre zu schaffen, dem Wort des Dichters Raum zu geben und den Schauspielern die Möglichkeit, ihre Figuren diffizil zu entfalten, bestätigte sich auch in neuer, ungewohnter Umgebung. Und dies mit Alfred Matusche (1909-1973), dem anerkannt spröden Volksdichter. Frank wählte nach dem „Regenwettermann" dessen Erstling „Welche, von den Frauen" aus den Jahren 1952/53, ein Stück von antifaschistischer Unbedingtheit. Neben dem carrousel wenigstens noch ein Theater in Berlin, ein „freies" sinnigerweise, das in diesen historischen Tagen nicht vor deutscher Geschichte kneift.
Das 1979 in Schwedt uraufgeführte Schauspiel
ist ein Zeitdokument, ein dramatischer Beleg für den Versuch, aus dem vom
Faschismus befreiten Deutschland ein neues, gutes Vaterland zu machen. Mit den
Menschen, wie sie halt sind. Matusche war ein genauer, ein unbestechlicher
Beobachter. Er schönte nie auf, er idealisierte nicht, er ortete das
widersprüchliche Leben.
Da ist der 1945 aus der Emigration in den USA
heimkehrende Gedichteschreiber Ulrich Goetzke. Neues Leid schon am ersten Tag.
Theresia (Sabine Seile), die er liebte, die er 1933 hatte verlassen müssen,
stirbt in der Stunde des Wiedersehens. Aber keine Zeit zur Trauer. Goetzke soll
mithelfen, einen Rundfunksender aufzubauen. Mit Dr. Lahr, einem ehemals
faschistischen Redakteur, hat er sofort Probleme - und mit Lotte, Marietta und
Elke, den Frauen, die ihm begegnen, alsbald.
Noch ist das Elend des Krieges gegenwärtig.
Verhalten sind die Hoffnungen auf die Zukunft. Man lebt, man liebt, man leidet.
Wie eh und je in deutscher Provinz. Die betriebsame, liebenswürdig schrullige
Frieda, die Reinemachefrau (in einer vortrefflichen Darstellung von Regina
Bode), die ein Auge auf Goetzke geworfen hat. Der redliche, umsichtige Gärtner
(in knapper Zeichnung von Johannes Achtelik), der den Heimkehrer verehrt. Die
gutbürgerliche, gläubige Frau Heimor (in freundlicher Charakterisierung von
Barbara Dittus), die in Harmonie mit dem Geliebten ihrer Tochter Lotte leben
möchte.
Diese Lotte ist eine ziemlich flotte Biene, eine Sekretärin, die mit dem
jeweiligen Chef ins Bett geht und erfolgreich aufsteigt. Heike Jonca führt das
ganz unaufdringlich vor, sehr differenziert, sehr überzeugend. Wenn sie
abwägend, taktierend reagiert, als ihr Goetzke eine Schallplatte mit Ernst
Busch vorspielt, ahnt man schon: dies Weib wird zwar die Geliebte, aber
schwerlich des Schriftstellers Frau werden. Doch auch bei Marietta, der
temperamentvollen Italienerin (sehr plastisch Simone Frost), hält es ihn nicht.
Und als er mit Fieber krank darniederliegt, holt er sich Elke (Agnes Giese) ins
Bett.
Ulrich Goetzke, den Weiberhelden und antifaschistischen Aktivisten der ersten Stunde, gibt in exzellenter Studie Frank Köbe. Vielleicht
müßte der Mann nicht unbedingt ständig mit Baskenmütze und strumpflos agieren,
aber zum Bild eines politisch engagierten, ansonsten etwas anarchischen
Lebenskünstlers paßt das schon. Dem Köbe glaubt man es. Unerbittlich,
unversöhnlich ist er gegen Dr. Lahr (Achim Wolff), offen und aufgeschlossen
gegenüber dem Opfer des Faschismus Eddi (Michael Gitter) und blind vertrauend
in seiner Liebe zu den Frauen.
Zu Matusches Dramaturgie gehören aufgesetzt
wirkende, fragwürdige Konstruktionen, aber auch sehr ursprünglich komische
Szenen. Insgesamt waren Hans-Joachim Frank und sein Dramaturg Jörg Mihan wohl
etwas zu gewissenhaft um Authentizität bemüht. Der Regisseur arbeitet penibel,
nicht kleinlich, meistert auch verkantete Phasen und findet im behutsamen Umgang
mit den Figuren zu gewinnender Menschlichkeit. Anne-Kathrin Hendel baute ihm
einen guten Spielraum, Hannes Zerbe unterstützte musikalisch dezent. Ein
sehenswerter Abend gehobenen Volkstheaters.
Neues
Deutschland, 10. Mai 1995