„Die Stadt der Frauen“ von Federico Fellini an der Volksbühne Berlin, Regie Frank Castorf

 

 

 

Ewiger Reigen der Lüste

 

Henry Hübchen steigt als Schürzenjäger Snaporaz wie einst Marcello Mastroianni in Federico Fellinis Film „Die Stadt der Frauen" hinter einer Blondine (Karin Mikityla) her und erlebt - mehr in der Phan­tasie oder weniger in der Rea­lität, jedenfalls an der Berliner Volksbühne - Lust und Ent­täuschung eines Mannes, der eigentlich nur zum Bahnhof will, aber von einem schönen Hintern nicht loskommt.

Verfilmungen von Stücken sind so selten nicht. Theatralisierungen von Filmen hingegen bilden die Ausnahme. Das Theater kann die Fülle der Bil­der, mit denen der Film ope­riert, nicht liefern. Selten ge­lingt eine akzeptable Trans­mission in das uralte Medium. Jetzt hat es Frank Castorf an seinem Haus versucht. Er be­schwört Welt und Geist des Fellini-Films aus dem Jahre 1979, indem er konsequent sein Theater macht.

Das heißt, Castorf ironisiert und travestiert den ungleichen Kampf der Geschlechter, das ewige Thema der Kunst, mit seinen drastischen, von hehrer Theatralik bis zu ordinärem Kabarett reichenden Mitteln. Wobei er locker und souverän bleibt, die Vorgänge stets humorig nimmt, so, als illustriere er im steif hölzernen Bühnen­bild Bert Neumanns fortwährend den Satz, mit dem der Schöpfer einst seinen Film kommentierte. Der sei nämlich, meinte Fellini, „das Geplauder eines beschwipsten Mannes nach dem Abendes­sen".

Allerdings schafft Regisseur Castorf es nicht, den Plauderton durchweg anzuschlagen. Seine bewährt reiche Phanta­sie blüht und verstellt ihm ge­legentlich den Blick für Passa­gen, wo die Unterhaltung in Geschwafel ausufert. Ist ihm schon die Exposition recht aus­führlich geraten, das Finale vermittelt das Gefühl von End­losigkeit. Castorf mag das. Ich weiß. (Siehe seine Hamburger „Raststätte..."!) Aber: Plaude­rei bekommt nur Glanz, wenn sie sich zu konzentrieren ver­steht. Im Leben wie auf dem Theater. Castorf kann sich schwer von einmal etablierten Einfällen trennen. Lieber reitet er sie zu Tode.

Um konkret zu sein. Die tan­zenden Polizistinnen zum Bei­spiel nehmen der betreffenden Szene zwar jede politische Penetranz, ihre anhaltende Herumhüpferei aber verliert sich zu theatralem Schwachsinn. Und, weiteres Beispiel: Snaporaz muß, wenn er nach einem Ersatz für seine verstorbene Frau Ausschau hält, wüst lär­mend mehrmals wie kopflos in einem hölzernen Wandelgang verschwinden. Die Umtriebig­keit eines Mannes auf der Su­che nach dem idealen Weib soll vermutlich als zwangsvolle, ins Ungewisse führende, auch 1995 schwer zu deutende An­gelegenheit begriffen werden.

Ansonsten: Amüsement pur. Mal keck und kurzweilig, mal doof und langstielig. Hübchen gibt den ehrenwerten Schwe­renöter Snaporaz naiv tragikomisch, unfreiwillig hin und her gerissen zwischen natürli­chem Drang und gängiger Mo­ral. Nun widerfährt dem Herrn ja tatsächlich allerhand Unge­wöhnliches. Der Professor für griechische Mythologie ist nicht nur unvermutet in einer Stadt der Frauen unterwegs. Er gerät auch noch zwischen die Fronten eines Feministin­nen-Kongresses, auf dem ek­statisch gegen Phallokratie und sonstige männliche Obsessio­nen gekämpft wird. Snaporaz erlebt hautnah: Die Theorie des Kongresses ist das eine, die Praxis des Lebens das an­dere. Widerwillen sieht er sich fraulichem Verlangen ausge­setzt. Ob Mutter (Rosemarie Bärhold), Großmutter (Jürg Kienberger) oder Tochter (Kathrin Angerer), letztlich wollen sie alle nur das eine. Als er die Blondine endlich gefunden hat, faßt die ganz selbstver­ständlich nach dem von der Natur dafür vorgesehenen Teil, welchem Tun der Professor nicht ganz gewachsen ist. Und in der Villa des ominösen Dottore Katzone (Günter Zschäkkel), dessen Lebensinhalt Frauen, Waffen und Pferde sind, leben die eingekauften hübschen Mädchen ohnehin nur fürs süße Treiben. Was die Damen Meral Yüzgülec, Astrid Meyerfeldt, Karin Mikityla, So­phie Rois und Kathrin Angerer übrigens rein akustisch treff­lich mitzuteilen wissen.

Wenn man schon vermutet, ziemlich alles über die Phallokratie erfahren zu haben, bringt Snaporaz' Ehefrau den Alltag ins Spiel. Sie plaudert aus, daß der Gatte rundweg ein Versager ist. Und wie Cornelia Schmaus (wieder an der Volks­bühne!) dies vorzubringen weiß, eindringlich klagend, vorwurfsvoll polemisch, über­zeugt wohl auch in der letzten Reihe. Während übrigens manch beiläufig hingeworfene Bemerkung anderer Spieler leider schon vorher verloren­geht.

Daß die Uraufführung sich als mäßiger Erfolg abbuchen läßt, in etwa unter der Rubrik verhindertes, aber delikates Musical, ist nicht zuletzt dem Multitalent Jürg Kienberger zu danken. Er ist nicht nur für die Musik zuständig. Er hat die Chöre musikalisch perfekt und komödiantisch hinreißend ein­studiert. Er brilliert am Flügel und gesanglich als ein Erzmusikant. Und er ist als Mime gottvoll komisch.

 

 

Neues Deutschland, 17. Oktober 1995