„Die schöne Fremde“ von Klaus Pohl am Schiller Theater Berlin, Regie Wilfried Minks

 

 

 

Die ganz normale Hexenjagd

 

Nachdem sich im Berliner Schiller Theater der Vorhang, ein deutscher Winterwald mit röhrenden Hirschen, über Klaus Pohls Schauspiel „Die schöne Fremde" gesenkt hatte, applaudierte das Publikum den Darstellern. Als aber Regisseur Wilfried Minks und der Autor sich verneigten, erklang ein vielstimmiges Buh. War das aufflammender nationalistischer Affront gegen ein bewußt politisches Stück? Oder sollte Ästhetik eingeklagt werden? Wohl war mir bei diesen Buh-Rufen jedenfalls nicht.

Aktuelle Zeitstücke sind notgedrungen mit heißer Nadel gestrickt und daher oft nur Tagesware. Was Klaus Pohl, der Autor von „Karate Billi kehrt zurück", mit diesem 1991 zu den Ruhrfestspielen vom Schauspiel Essen uraufgeführten Stück anbietet, ist ein schockierendes Konglomerat aus realistischer Schreiberstube und fäkalischer Sudelküche. Der inflationäre und lautstarke Gebrauch beispielsweise des Wortes „Hure" dient ästhetischer Absicht schwerlich. Aber ein nicht geringer Teil des Stückes trifft immerhin ziemlich genau die derzeitige Befindlichkeit vieler Bürgerinnen und Bürger in dieser schlitzohrigen, nazistische Umtriebe duldenden deutschen „Demokratie". Sie empfinden Ohnmacht.

Ohnmacht nämlich angesichts der schier unaufhaltsamen Eskalation faschistischer Gewalt. Was Pohl aufschrieb, ob willkürlich erfunden, ist harmlos im Vergleich zur Realität, zur in Deutschland mittlerweile ganz normalen Hexenjagd, etwa wie sie sich im November 1990 in Eberswalde zugetragen hat, wo nichtabgewickelte Polizisten zugesehen haben, als Neonazis den Angolaner Antonio Amadeu zu Tode prügelten.

Bei Pohl gerät eine schöne Fremde, die Amerikanerin Margret, in Bebra, der einstigen Grenzstadt zwischen West und Ost, wo sie unfreiwillig Aufenthalt nehmen muß, in die Fänge provinzspießiger nationalistischer Scharfmacher. Die Frau wird Zeuge, wie die Brüder Maul, kleine Fabrikanten, und ihr Werkzeug, der Hundeliebhaber Bödeke, in haßerfüllter Ausländerfeindlichkeit einen Polen lynchen, weil er angeblich sie behindernd geparkt hat. Als sie sich für den Schwerverletzten, der stirbt, einsetzt, gerät sie ins Visier des Hasses. Auf ihrem Zimmer im Gasthof „Reichsapfel" wird sie von Bödeke vergewaltigt.

Diese Szenen der Nötigung und Folter sind allerdings so penetrante Konstruktionen, daß allein die Spielkultur der Schauspieler, Susanna Kraus als Margret und Oliver Stern als Bödeke, die Perfidie erträglich macht. Bedrückend realistisch dann der Schwenk des Rechtsanwaltes Futterknecht (Thomas Hodina), den die Fremde am Morgen zu Hilfe ruft. Taktierend geht er auf die Seite der Bebraer über und glaubt deren Behauptung, die Fremde sei eine Hure. Bei welcher Gelegenheit Christian (Matthias Redlhammer) und Ulrich Maul (Peter Brombacher) auch noch einen Stadtverordneten diffamieren. Realistisch wohl auch das Verhalten des wohlhabenden jüdischen Bräutigams der Fremden, des Herrn Leon Rauch (Ulrich Noethen), der seine Braut am Hochzeitstag im Stich läßt, als er erfährt, daß sie vergewaltigt worden ist. Der Regisseur ist stets zurückhaltender, doch sorgfältiger Betreuer der Figuren, sucht und prägt glaubwürdige Profile.

Aufschlußreich, wie der Autor seinen Konflikt zu Ende bringt. Keine staatliche Macht, läßt er wissen, keine soziale Kraft gibt es derzeit in Deutschland, die die faschistoide Entwicklung aufhalten könnte. Grotesk daher seine Lösung. Pohl schickt seine alleingelassene schöne Fremde weder zur Polizei noch gar zu einer Partei, sondern als Selbsthelferin zurück nach Bebra. Dort umgarnt sie, Gerechtigkeit mit Rachedurst verwechselnd, in einer Orgie die besoffenen Herren mit dem Bild, das sie von ihr haben. Sie hetzt die Brüder Maul auf Bödekes unschuldigen Hund. Den fordert sie von ihren „süßen deutschen Säuen" als Preis für eine Liebesnacht. Ihre Rechnung scheint aufzugehen. Bödeke bringt wutentbrannt die Killer seines Hundes um, aber - im Blutrausch -gleich noch die schöne Fremde. Schauerdrama, Schauerdrama, Schauerdrama.

Und doch: Ist's so weit weg von der Realität? Denk ich an Deutschland in der Nacht...

 

 

Neues Deutschland, 17. November 1992