„Leben des Galilei“ von Bertolt Brecht vom Stadttheater Helsinki, Regie Ralf Langbacka

 

 

 

Heitere Zuversicht

 

Das Stadttheater Helsinki gastierte zu den Berliner Festtagen mit Bertolt Brechts Schauspiel „Leben des Galilei" in der Volksbühne. Der Regisseur der Inszenierung, Ralf Längbacka, ist in Berlin kein Unbekannter. Die urwüchsige Vitalität der Bearbeitung des Romans „Die sieben Brüder" von Aleksis Kivi (gemeinsam mit Kalle Holmberg), mit der er 1974 als Leiter des Stadttheaters von Turku in die Hauptstadt kam, ist noch in guter Erinnerung. Auch diesmal überzeugen die naive Unmjttelbarkeit, das elementare Spieltemperament und der humanistische Anspruch der Aufführung.

Ralf Langbacka nimmt Galilei in Schutz. Aus heutiger Einsicht empfiehlt er zu bedenken, daß der einzelne, sich der Forschung hingebende Wissenschaftler letztlich hilflos ist gegenüber der Nutzung seiner Entdeckungen durch dem Fortschritt feindlich gesonnene Mächte. Nur Veränderungen im Zusammenleben der Menschen und der Staaten werden Wandlung schaffen können. Gefragt ist der helle Verstand der vielen.

Langbacka läßt die bislang meist gestrichene letzte Szene des Stückes spielen: Andrea Sarti, der junge Wissenschaftler, schmuggelt die „Discorsi" des Galilei, die dieser in kirchlicher Verbannung insgeheim geschrieben hat, über die italienische Grenze und ruft einem neugierigen Straßenjungen, mithin dem Volke, zu: „Wir wissen bei weitem nicht genug, Giuseppe. Wir stehen wirklich erst am Beginn." Womit Brecht von der Zukunft spricht und davon, daß das Wissen über das Wie eines friedlichen, gedeihlichen Zusammenlebens der Völker noch nicht ausreicht.

Die Inszenierung ist heiter-zuversichtlich in ihrer Grundhaltung, vermittelt insbesondere über zwei Gestalten aus dem Volke, über zwei sympathische Balladensänger. Das Paar (Sinikka Sokka und Antti Virmavirta) spielt und singt die kommentierenden Songs zwischen den Szenen (Musik: Hanns Eisler) mit clowneskem Übermut, aber auch behutsam, gar sorgenvoll Anteil nehmend am Geschick des Helden.

Das Spiel in dem herb-sachlichen, Konzentration erheischenden, wandlungsfähigen Bühnenbild von Kaarina Hieta — ein großes zentrales Podest zwischen karg gekalkten Bretterwänden — setzt auf die Nachvollziehbarkeit der Dispute, mithin auf das Wort, weniger auf die differenzierte konkrete Geste.

Langbacka betont den Parabelcharakter des Stückes. Er strebt Allgemeingültigkeit an über den Fall Galilei hinaus. Aber das damit verbundene Verlassen der Historie, auffällig auch bei den Kostümen, ist nicht nur ein Vorteil. Das Verhör des Galilei durch die Kardinale Bellarmin und Barberini zum Beispiel gerät mir zu locker-gefällig. Hinter der offiziösen Höflichkeit kommt die hinhinterhältige Gefährlichkeit nicht zur Geltung. Und den Papst Urban VIII. als mit dem Großinquisitor tennisspielenden jungen Herren darzustellen nimmt der berühmten Ankleideszene, in der der scheinbar liberale oberste Gebieter der katholischen Kirche schließlich doch den Werkzeugen der Folter zustimmt, die orthodoxe Schärfe.

Der Galilei von Lasse Pöysti ist ein Wissenschaftler von umgänglicher Verschmitztheit, der der Natur ihre Geheimnisse gleichsam abluchst. Schön die Situation, als er sich, nachdem er vom neuen Papst erfahren hat, selbst- und siegesbewußt auf der Bank zurücklehnt und zufrieden blinzelnd viele Jahre zurückgestellter Arbeit ins Visier nimmt. Um so bitterer dann die Enttäuschung. Wenn er sich schließlich selbst verurteilt, im Dialog mit Andrea, sitzt da ein Mann, der nicht resigniert, der aber illusionslos mit dem Dasein abgeschlossen hat. Noch einmal, als er auf seine im Globus versteckten „Discorsi" verweist, blitzt bei dem Gedemütigten die Lebenslist auf, mit der er in Padua angetreten war.

 

 

Neues Deutschland, 27. Oktober 1987