„Leben des Galilei“ von Bertolt Brecht am Berliner Ensemble, Regie B.K. Tragelehn

 

 

 

Wenig Hoffnung für die Wissenschaft

 

Um die Gesundheit des Star-Gastes muß man fürchten. Zum Auftakt von Brechts »Leben des Galilei« in der Inszenierung B. K. Tragelehns hat sich der splitternackte Josef Bierbichler auf kalter, zugiger Bühne eimerweise Wasser überzukippen. Wahrscheinlich sollen auch die Besucher auf ihre Kosten kommen, die an diesem Abend auf das »Peep«-TV verzichtet haben, um sich mal wieder oder gar erstmals ins Berliner Ensemble zu begeben, ins ehemalige Haus des großen deutschen Dichters, weil der demnächst 100. Geburtstag feiern würde. Galilei, um das positiv zu formulieren, wird ihnen a priori als gut gebauter Naturbursche vorgeführt, als lausbübig positiver Held sozusagen, jedenfalls als einer, der anfangs mit sich und der Welt völlig im reinen ist. Dem man also wirklich mal zweieinhalb Stunden zuschauen sollte, weil man ja im Theater nicht zappen kann.

Solch Zugeständnis an den trivialen Medien-Zeitgeist hätte ich bei Regisseur B. K. Tragelehn nicht erwartet. Immerhin ist er ein echter Schüler Brechts, nicht einer, der aus PR-Gründen »verfremden« muß. Gewiß, die differenzierte Opulenz einer Brecht-Inszenierung ist in der Marktwirtschaft nicht bezahlbar. Tragelehn stellt fast demonstrativ ein »armes Theater« aus. Um auch das positiv zu formulieren: Er erinnert an die Vorzüge der proletarischen Agitprop-Bühne, an deren bescheidene Dekoration und bewußte Konzentration aufs Agitieren. Keine episch ausführliche szenische Abfolge also, sondern strichgefaßte, praktikable Disputation. So kommt er mit fünfzehn Stühlen aus der Kantine und einigen Requisiten gut über die Runden.

Gut in erster Linie deswegen, weil Josef Bierbichler, wahrhaft kein gelernter Zeige-Schauspieler, Brechts dialektische, faszinierend vernünftige Weltsicht so leger mit links abliefert, so gar nicht didaktisch, daß man sich mühelos mit diesem Galilei identifiziert, vor allem mit dessen Entscheidung, angesichts der Folterwerkzeuge zu widerrufen. Der Mann hat ja so verdammt recht! Gleichgültig, ob er nun eigentlich der große Gelehrte der Renaissance sein sollte, oder ob er wie hier einfach der zwar besessene, aber taktierende Wissenschaftler ist. Die Figur ist bei Tragelehn/Bierbichler als zeitlos allgemeingültig begriffen. Womit sich Brechts Wunsch erfüllen läßt, der da lautete: »Ich hoffe, das Werk zeigt, wie die Gesellschaft von ihren Individuen erpreßt, was sie von ihnen braucht.«

Das Stück, das nach klarer gedanklicher Darlegung verlangt, leidet, wenn sich die Sprache auf weiter, leerer Bühne verliert, zumal die Beiläufigkeit der Darstellung auffällig betont wird. Zum Beispiel mit kurzen Pausenauftritten eines stückfremden Zwergwüchsigen, der über sein Schicksal räsoniert und von den Akteuren verscheucht wird, nachdem er noch hastig die nächste Begebenheit verkündet hat. Spannend wird's stets, wenn szenische Dichte entsteht, weil Schauspieler differenziert spielen.

Bierbichlers Galilei geht ruppig lieb mit dem Kind Sarti um. Mit der Frau Sarti der Klara Höfels reibt er sich höflich. Da ist verhalten stets jene Intimität im Spiel, die Brecht den beiden so geschickt zuschreibt. Wenn sie ihm schließlich bittere Vorwürfe macht, ist zu spüren, wie schwer ihr das fällt. Thomas Wendrich als kleiner Mönch - wirklich glänzend das schrittweise Offenlegen seiner Sorgen. Thomas Stecher als Ludovico - sehr präzis der von seiner »Mission« überzeugte junge Grundbesitzer. Günter Zschäckel als Vanni - plastisch der reiche, selbstbewußte Eisengießer. Uwe Steinbruch als Papst - nackt zunächst, auch er also ach so menschliche Kreatur ...

Ein Endlos-Spruchband ziert die schwarzen Bühnenwände, darauf Heiner Müllers letzter Satz aus »Germania 3«: »Dunkel, Genossen, ist der Weltraum, sehr dunkel.« Wenig Hoffnung für die Wissenschaft, selbst wenn sie sich verleugnet.

 

 

 

Neues Deutschland, 15. Dezember 1997