„Des Teufels General“ von Carl Zuckmayer an der Volksbühne Berlin, Regie Frank Castorf

 

 

 

 

Halbnackter Held an der Rampe

 

Carl Zuckmayer (1896-1977) hatte sein Drama »Des Teufels General« aus der amerikanischen Emigration zurück mit nach Europa gebracht. Nach der Uraufführung 1946 am Schauspielhaus Zürich durch Heinz Hilpert kam es zu heftigen Diskussionen. Verführung gehe aus von General Harras, dem Helden, überhaupt von den schneidigen Luftwaffen-Offizieren und ihrem so deutschem Kriegs-Ehrgeiz. Das war kurz nach dem Ende des großen Mordens in der Tat nicht opportun. Für differenzierte Betrachtung fehlte der Abstand. Dennoch wurde das Stück im Westen des willkürlich geteilten Deutschlands alsbald erfolgreich gespielt. Im Osten wurde es regelrecht verfemt.

Jetzt fügt Hausherr Frank Castorf das Drama an der Volksbühne in seine Grotesk-Serie über den deutschen Alltag. Nach »Pension Schöller/Die Schlacht« und »Golden fließt der Stahl/Wolokolamsker Chaussee« ein Stück über einen deutschen Luftwaffen-General, der, obzwar kein Freund des Hitler-Regimes, den Faschisten als Fachmann und kühner Flieger half, ihren verbrecherischen Krieg zu führen.

Wobei Castorf, wie könnte es anders sein, das Stück ummodelte. Grob gesehen: Ihn interessierte weniger der reißerische Kriminalfall, die Sabotage des Ingenieurs Oderbruch, dafür mehr der Sexualfall, die flotte Umtriebigkeit des Generals. Genauer besehen, so lässt immerhin der Schluss vermuten, ging es dem Regisseur um hehrere Beträge, um Schuld oder Nichtschuld eines prominenten Kriegers. Doch da er die Verwicklung des Generals in den Sabotagefall nur andeutet, ist der Zuschauer auf Ahnungen verwiesen, nimmt der, was es zu schauen gibt.

Das ist in drei Stunden in summa bei aller skurriler Vielfalt im kalt-marmornen Albert-Speer-Interieur mit Blick in den sternenklaren Nachthimmel und auf die sich drehende Erdkugel (Bühnenbild Peter Schubert) - eine theatralische Demontage des faschistischen Militärs. Glanz ist da nirgends! Und wenn Harras wegen der Kriegsverbrechen kotzt, dreht es nicht nur Fräulein Pützchen den Magen um.

Der General genießt im übrigen eine Sonderbehandlung. Er ist »doppelgeschlechtlich« besetzt, wie auch Kulturleiter Dr. Schmidt-Lausitz (Sophie Rois/ Hendrik Arnst) und Pützchen (Bernhard Schütz/Sophie Rois). Solch Verfahren bedeutet zwar ein Kneifen vor den Anforderungen differenzierter Schauspielkunst, verschafft aber die Möglichkeit, bestimmte Charakterzüge einer Figur satirisch prononcierter zu präsentieren.

Zunächst hat Corinna Harfouch den weibisch schwachen, den sentimentalen General vorzuführen. Das macht sie super! Wenn sie, auf einem Schaukelpferd sitzend, ironisch des Harras kindische Hingabe an seine Mutter auf sächsischem Landsitz zeigt, ist das darstellerisch von allererster Qualität. Auch wenn dieser weibische, sich besaufende Harras mit Offizier Hartmann (Kurt Naumann) das offene Gespräch unter Männern über »arische Ehe-Reinheit« sucht. Wie er Lust am Leben suggerieren will, sich dabei hektisch auszieht und dem Partner auf­ringlich an die Hose geht, ist spielerisch perfekt. Bernhard Schütz dann als Harras hat vor allem den feisten deutschen Tölpel vorzuführen: politisch eine Null, aber geil auf die Weiber. Ihn nerven Probleme - immerhin geht es um Völkermord! -, aber zu bumsen versäumt er nicht.

Schließlich hockt der halbnackte General, allein gelassen, armselig an der Rampe und wird von seinen Zeitgenossen - die sich inzwischen, wendig wie sie sind, mit dem Rücken an der Wand befinden - als Nazi und Mörder beschimpft. So tiefsinnig wie apathisch fragt er: Was weiß ein Mensch? Schon glaubt der Zuschauer, damit in die Nachdenklichkeit entlassen zu sein. Doch nun tritt noch Oderbruch (Joachim Tomaschewsky) auf, der Ingenieur im Luftfahrtministerium, ein irgendwie slawischer Typ. Der Mann bekennt sich als Saboteur und fordert, die Waffen zu zerbrechen. Das ist dann freilich selbst noch heutzutage ein dreistes Ansinnen angesichts der schönen Profite deutscher Waffenexporteure...

Mithin, Frank Castorf gab sich mit Carl Zuckmayer nicht zufrieden, frachtete ihm aktuellere Botschaft auf. Dabei pflegt er eine deklarative, die Figur grotesk überzeichnende Spielweise. Dazwischen hat es Phasen echter Besinnlichkeit. Wenn etwa der Großindustrielle Sigbert von Mehrungen (Klaus Mertens) über Krieg und Frieden meditiert oder die Schauspiel-Debütantin Diddo (Jeanette Spassowa) über Schwierigkeiten, sich zu freuen. Nach der (eingesparten) Pause allerdings verläppern sich die Szenen, ist da keine Konzentration, keine zwingende Abfolge mehr.

 

 

Neues Deutschland, 19./20. Oktober 1996