„Der rote Hahn“ von Gerhart Hauptmann an der Volksbühne Berlin, Regie Helmut Straßburger und Ernstgeorg Hering

 

 

 

Die Wünscher mal als intrigantes Weib

 

 

Zu berichten ist von der Wiederaufnahme der Tragikomödie „Der rote Hahn" von Gerhart Hauptmann in den Spielplan der Berliner Volksbühne. Eine Umbesetzung und auf Präzisierung bedachte Überlegungen der Regisseure Helmut Straßburger und Ernstgeorg Hering haben zu einem künstlerischen Gewinn geführt. Jetzt tobt der Kampf nicht nur rhetorisch, sondern regelrecht auch körperlich, ausgetragen zwar anscheinend nur um eine Brandstiftung, in Wirklichkeit aber bereits mehr als ein vager Vorbote, nämlich beredter Ausdruck für die Erbarmungslosigkeit aufkommender bürgerlicher Geschäftspraktiken um die Jahrhundertwende.

Marianne Wünscher gibt die militant-intrigante Frau Fielitz als ein rüstig-streitbares Weib, das hartnäckig nach neuem Besitzstand strebt und vor deren mitleidlosen Attacken Baron von Wehrhahn wie alle Männer des Berliner Vorortes einen Heidenrespekt haben. Sie ahnen zwar irgendwie in ihr die Brandstifterin, Schmiedemeister Langheinrich könnte es sogar beweisen, aber sie kuschen lieber und gehen zur Tagesordnung über.

Diese verwitwete Mutter Wolff hat ihren neu Angetrauten, den Schuhmachermeister Fielitz (Wilfried Ortmann wieder ganz hervorragend) voll unterm Pantoffel. Als ihr. Gendarm a. D. Rauchhaupt die Kokelleidenschaft seines schwachsinnigen Sohnes Gustav (sehr einprägsam Marian Wolf a. G.) bestätigt, erwägt sie unverhohlen listig ihren Plan. Mit zynischer Drohung, wuchtig in ihrer Körperlichkeit, schüchtert sie ihren schmächtigen, tragisch-drollig sich sträubenden Gatten ein.

In der Amtsstube dann, nachdem der Brand geschehen ist, duckt sie sich zunächst barmend in sich hinein. Doch dabei sondiert sie fieberhaft die Lage. Den Anschuldigungen Rauchhaupts (Günter Junghans erneut außerordentlich) trotzt sie energisch. Dreist geht sie zum Angriff über. Amtsvorsteher von Wehrhahn (auch Werner Tietze wieder exzellent), zwischen den Fronten lavierend, setzt sich jetzt gegenüber den renitenten Bürgern zwar schärfer durch, aber das selbstsichere Auftreten der Frau seines Polizeispions respektiert auch er, obwohl er, das ist zu spüren, die Täterin ahnt.

Im letzten Akt schließlich, in dem in der Premierenfassung eine groteske Patt-Situation zwischen den alten Kampfhähnen entstanden war, obsiegt jetzt Rauchhaupt. Die sichtlich gealterte, müde und anfällig gewordene Fielitz erliegt im Grunde den anhaltenden nervenden Fragen und Sticheleien des gedemütigten Vaters, der zäh und unbeirrt an die Unschuld seines Sohnes Gustav glaubt.

Die Aufführung des gewiß nicht besten Stückes Hauptmanns lebt durch überzeugende schauspielerische Leistungen auch in den übrigen Rollen: Heide Kipp (Frau Schulze), Horst Westphal (Doktor Boxer), Axel Werner a. G. (Langheinrich), Florian Märtens (Bauführer Schmarowski), Hartmut Schreier (Schmiedegeselle Ede) und Jörg-Michael Koerbl (Amtsschreiber Glasenapp).

 

 

Neues Deutschland, 13. April 1988