„Hauspostille“ von Bertolt Brecht im Theater am Schiffbauerdamm Berlin

 

 

 

 

Lektionen auf Kothurnen

 

Rosenmontag im Theater am Schiffbauerdamm. Ein offenbar nicht genannt sein wollender Veranstalter hatte sich gleich drei Masken übergestülpt. Zu sehen war eine »Produktion in Zusammenarbeit mit dem Berliner Ensemble«, laut Programmzettel zustande gekommen »mit freundlicher Unterstützung der Komischen Oper Berlin und der Hochschule für Musik >Hanns Eisler<«. Wahrscheinlich wollte für den dilettantischen Ausflug einer Handvoll junger Leute zu Brechts »Hauspostille« letztlich niemand die Verantwortung übernehmen. Ob da Absolventen am Werk waren oder Studenten eines ersten Studienjahres für Regie, nichts wurde verraten. Mogelpackung rundum.

Immerhin war zu erkennen, daß mit drei, vier aparten Sopranistinnen zu rechnen sein wird, mit Emi Abo, Barbara Ehwald, Dorothea Kares, Anne-Lisa Nathan. Auch ein junger Countertenor, Jens Arndt, machte auf sich aufmerksam. Und eine Schauspielerin, Anja Thiemann, posierte mit Liebreiz. Ihnen allen wünsche ich bald tragende Rollen. Hier waren sie schlecht beraten worden.

Brecht hatte seiner »Hauspostille« sinnigerweise »Anleitungen zum Gebrauch der einzelnen Lektionen« vorangestellt. Von Lektüre ist da die Rede, auch von einem Vortrag, zu dem Rauchen empfohlen wird. Aber daß der Text darzustellen sei, rät der Dichter nicht. Schon gar nicht spricht er davon, die Lektionen auf einer Bühne mit ablenkender Spielastik szenisch zu illustrieren. Wenn lyrische Texte primär von der Plastizität des Wortes leben, von der Konzentration auf den Gedanken, dann just die sarkastischen »Lektionen« der »Hauspostille«, diese »Schönheiten, etabliert auf Wracks«, geschrieben in den zwanziger Jahren, strotzend von jungmännischem Übermut, geprägt bereits von Resignation. Der junge Dichter hatte angefangen, hinter die Kulissen der bürgerlichen Gesellschaft zu schauen.

Die Präsentation der Lieder und Gedichte jetzt machte kaum den Versuch, etwas vom hellen, scharfsinnigen Geist des Schöpfers zu erhaschen. Im Gegenteil. Sie gab sich - übrigens ohne Gespür für Timing - allerhand Mühe, Brecht zu veropern, ihn bei der Gelegenheit in mystifizierendes Dunkel zu hüllen. Im ersten Teil operierten drei Engel auf Kothurnen, mal selbst als Vortragende, mal als überflüssige Assistenten. Im dritten Teil war die Angelegenheit irgendwie in den Weltraum delegiert, wo eine todbringende Nymphe einen seltsamen Reigen zelebrierte. Wenn sich das Publikum anfangs noch die Mühe gab, zu begreifen und sich durch die Illustrationen nicht von Brecht ablenken zu lassen, so war die Bereitschaft dazu nach dem zweiten Teil dahin.

Ein aus Hamburg zugereister und dort angeblich Opern-Regie studiert habender Herr hatte unter dem arroganten Slogan »Frank Alert meets Brecht« eine dreiste Scharlatanerie offeriert. Er sprach langsam und rostig per Tonband »Orges Gesang« und zeigte dazu in natura und per Video einen Mann, der aus einem Auto aufwendig Tischtennis-Bälle holt, weil er den Ball, mit dem er zu spielen versuchte, verschossen hatte. Das Publikum, lange geduldig, griff schließlich lautstark ein. Ein sich formierender Chor im Rang sang spontan aus der »Dreigroschenoper«. Man ist, wie mir schien, nicht mehr bereit, sich primitive »Events« gefallen zu lassen. Den insgesamt fatalen, ja deprimierenden Eindruck des Abends konnten die Komponisten Max Doehle-Mann und Gert Müller sowie die versierten Instrumentalisten leider nicht wettmachen.

 

 

Neues Deutschland, 14. Februar 1997