„Sommer in Heidkau“ von Helmut Sakowski am Theater Prenzlau, Regie Rainer Nitzke

 

 

 

Ursprüngliche Direktheit

 

 

 

Das Stück funktioniert. Und es scheint, als ob die Bearbeitung Sakowskis für Prenzlau durch die Konzentration auf direkte, anschauliche Abläufe dem Werk eine Renaissance auf unseren Bühnen eröffnet. Unsere Dramatik ist nicht eben reich an Stücken, die sich nicht in­tellektuell spreizen und reale Menschen reale Konflikte austragen lassen. Die Liebe der Genossenschaftsbäuerin Hete zum verheirateten Vorsitzenden Mellin, der mit politischem Stehvermögen kurz­sichtiger Bürokratie trotzt, findet heute Befriedigung beim Zuschauer, der den sich real entwickelnden Sozialismus auch Menschen wir Hete und Meilin dankt. Wenngleich nicht übersehen werden kann, daß die Exposition der Hete als »wild« nur eine rhetorische Floskel bleibt, kaum als szenischer Vorgang geliefert.

Da hat es eine sensible, zarte Dar­stellerin wie die junge Marianne Zilles, einsetzbar eher für feinsinniges ge­stisches Spiel und leise Zwischentöne, schwer, die Figur kräftig zu exponieren. Auch Regisseur Rainer Nitzke ist dazu nichts Einprägsames eingefallen. Dem Zobbenitz robust Wasser auf die Pantoffel zu kippen, teilt zwar Aggressivität der Hete mit, wie sie ihr auch gegeben sein mag, kommt hier aber aus hämischer Lust statt aus innerer Selbstsicherheit eines doch offenkundig ebenso vitalen wie urwüchsig-kräftigen Weibes. Im Ver­laufe des Spiels stellt sich das Profil der Figur besser her. So, wenn Hete, froh über ihre Anerkennung als Traktoristin, dem Funktionär einen Stuhl herbeiholt, leicht ironisch, selbstbewußt. Die von der Gesellschaft bestätigte Hete wirkt jung, forsch, und die aufkommende Liebe des Mellin wird verständlich. Statt damen­hafter Geziertheit sollte Hete freilich weiblichen, durchaus etwas deftigen Charme einsetzen.

Nun fordert das ihr Partner wahrhaftig nicht heraus. Knut Degner als Robert Mellin wirkt verklemmt, introvertiert, so daß er zu einem etwas unbeholfenen, spröden Vorsitzenden wird, dem man den Kerl, in den sich Hete verliebt, schwerlich glauben kann. Dieser Mellin ist liebenswert wegen seiner stillen Zurückhaltung, seiner kräftigen Ruhe. Die Inszenierung lebt von der einfachen Gradlinigkeit und Offenheit dieser Liebenden, deren Liebe in empfindsamer Verhalten­heit statt in stürmisch-bekennender Leidenschaft abgehandelt wird. Fast scheint sich ein zart-sentimentaler Schleier dar­über zu senken.

Auffallend die schöne, ursprüngliche Direktheit Jutta Klöppels als Lenchen. Der Streit mit Hete, als Lene sie zur Versamm­lung holen möchte, und die Versöhnung, die glückliche Genugtuung der Lene über Hetes schließliches Bekennen zu gesunder, natürlicher Weiblichkeit, werden zur eindrucksvollsten Szene des Abends. Hier kommt Poesie auf. Ein Zeichen auch dafür, daß die Regie die volkstümlich-realen menschlichen Beziehungen, die Sakowski schreibt, sich als einfache, klare Figuren-Beziehungen entfalten läßt. Gut beobachtet der Funktionär beim Kreis, den Harald Arnold darstellt — das Schwanken zwischen offiziöser, zugeknöpfter »Amtsmiene« und vertraut-kollegialem Mitstreiten. Lothar Tuengethal gibt leicht outriert einen grimmig-quengeligen Zobbenitz.

Der Rückgriff auf dieses Stück Sakowskis war gut für Prenzlau. Das Ensemble mit jungen, nach Neuem drängenden Absolventen braucht für sein Publikum solch realistisch zupackende Volksstücke.
Dabei sind Zerreißproben wie das Auftre­
ten vor halbwüchsigem Publikum wahr­scheinlich nicht zu vermeiden, auch um die Grenzen der Funktionstüchtigkeit eines solchen vor zwölf Jahren geschrie­benen Stücks zu erkunden. Als Bildungs-Theater für Schüler über den sozialisti­schen Frühling in unserer Landwirtschaft ist es nicht gedacht und funktioniert es auch nicht.

 

 

 

Theater der Zeit, 6/1976