„Der Held der westlichen Welt“ von John M. Synge an der Berliner Volksbühne, Regie Ursula Karusseit

 

 

 

Ergötzlich-groteske Mär

 

Das Stück spielt im Wirtshaus des James Flaherty an der wilden, buchtenreichen Küste von Mayo, einer Grafschaft im Nordwesten Irlands. Ein traulicher Kamin, wohlgeordneter Schanktisch — die Einrichtung schaut aus wie noch eben liebevoll poliert. Ausstatter Detlef Rohde fand für die Aufführung der grotesken Komödie „The Playboy of the Western World" von John M. Synge an der Berliner Volksbühne einen schmucken Puppenstubenstil. Die rauhe irische Wirklichkeit der Jahrhundertwende bleibt der Vorstellungskraft des Zuschauers überlassen.

In dieser freundlich-harmonischen Szenerie also bringt Ursula Karusseit als ihre erste Regiearbeit das absonderliche Geschehen um den vermeintlichen Vatermörder Christopher Mahon in Gang. Auffällig ist die warmherzige Sympathie der Regisseurin für die kauzigen Volkstypen des irischen Dichters. Da ist viel Spürsinn für die eigenartige Schönheit der wuchernden Phantasie dieser Figuren wie für deren geschwätziges Schwelgen in plastisch-drastischen Bildern — herausgefordert zudem durch die glänzende Übersetzung von Anna Elisabeth Wiede und Peter Hacks.

John Millington Synge (1871 bis 1909), bedeutender irischer Dramatiker, wurde 1956 hierzulande bekannt. Bertolt Brecht brachte den „Helden der westlichen Welt" am Berliner Ensemble zur Aufführung. Schon damals verlockte der vieldeutige Titel zu Vergleichen. Aktuelle Assoziationen funktionieren auch heute nur insofern, als das Bedürfnis der westlichen Welt nach Helden mittlerweile weitaus groteskere Aufschneider hervorgebracht hat. Der Bauernsohn Christopher ist da geradezu ein redliches Kerlchen. Armselig ist sein Leben, wie das aller Bauern und Pächter von Mayo.

Aus Verzweiflung hatte Christopher seinen tyrannischen Vater geschlagen, war dann in panischer Angst geflohen, als der alte Mahon leblos liegenblieb. Nächtelang irrte er umher. Seine Geschichte, die er im Wirtshaus des Plaherty nur zögernd zum besten gibt, reizt die Vorstellungskraft der Dorfbewohner. Solch „mutiger" Mann war noch nie vorbeigekommen.

Dietmar Burkhard spielt den scheuen Burschen, der sich mit Bauernschläue regelrecht hineinduckt in die neue Situation, die sich ergibt, als des Wirtes Tochter Pegeen Mike ein Äug' auf ihn wirft. Langsam, Szene für Szene, baut sich der Held auf, wird dreister, schwelgt dann gar in seiner Tat. Vertrackt nur ist, daß der totgeglaubte Vater wieder auftaucht.

Das nun wird zum theatralischen Leckerbissen. Den greisen Mahon gibt der junge Reiner Heise hinreißend komisch. Dieser Alte tappt geradewegs „aus dem Jenseits" herein, mit irrem, treuherzig-vorwurfsvollem Blick, noch hanebüchener aufschneidend als der Sohn. Ein Unikum allererster Güte. Hier gibt eine große Begabung ihre Visitenkarte ab.

Die Pegeen Mike freilich wünschte ich mir kräftiger im Naturell. Astrid Krenz stellt Vitalität mit etwas Anstrengung her, auch sprachlich. Sie spielt ein zähes kleines Seelchen, behend durchaus und mit selbstbewusst-spitzer Zunge. Margit Bendokats Witwe Quin hat tänzelnden Charme, quicke Bosheit und noch rüstige Absichten. Ein launiges Trio: Wirt Flaherty (Werner Senftleben), Jimmy (Harry Merkel) und Philly (Hartmut Schreier) — sowohl nüchtern als auch im Alkohol.

Das Ensemble serviert die grotesken Vorgänge mit ausgesprochener Spiellust und als ergötzliche Mär. So bekommt selbst das Ungeheuerliche eine souveräne Komik, die Abgründiges tolerierend zum Vergnügen macht.

 

 

 

Neues Deutschland, 23. Januar 1985