„Haus Herzenstod“ von George Bernard Shaw an den Kammerspielen des DT in Berlin, Regie Thomas Langhoff

 

 

 

 

Finanzboss Mangan fühlt sich verkannt

 

Diese zornige Komödie des frischen Spötters George Bernard Shaw aus den Jahren 1916/19 ist uns auf bizarre Weise nah. Thomas Langhoff machte das auch szenisch sinnfällig. Er servierte „Haus Herzenstod" an den Kammerspielen des Deutschen Theaters auf der nach vorn an die Rampe gezogenen Decks-Veranda des Shotover Landhauses auserlesen angerichtet wie auf einem Tablett. Und die Kiesgrube mit Dynamit, in der der Finanzgewaltige und Regierungsbeauftragte Mangan bei einem überraschenden Bombenangriff umkommt, verlegte er ins Parkett. Auf dem Vorhang aber geht am fernen Horizont eines spiegelglatten Meeres eine strahlend rote Sonne auf. Oder unter. Man weiß das nicht so genau.

Bernard Shaw indessen hatte eine ziemlich gewisse Meinung von der Sache, just nach den Erfahrungen des ersten Weltkrieges. Der Dichter, den — wie er von sich sagt — Marx zum Sozialisten gemacht hatte, kannte sich gut aus in der feinen bürgerlichen englischen Gesellschaft seiner Tage. Er versammelte — in Tschechowscher Manier — eine Auswahl Damen und Herren. Nette Leute irgendwie, viel beschäftigt mit ihren Amouren. Überflüssig im Grunde. Nicht in der Lage, kriegerisches Verhängnis aufzuhalten. Im Gegenteil: sich daran ergötzend. Daß diese Herrschaften einen zweiten Weltkrieg zulassen würden, konnte Shaw nicht ahnen, auch nicht, daß ihre Bosse die Welt weiter regieren.

Um so grotesker der verzweifelte Versuch Mangans, des Finanzmannes der Londoner City, wenigstens im Hause des Kapitäns als Mensch und nicht als Hai behandelt zu werden. Langhoff pointiert das souverän. Er fand für Mangan eine treffliche Besetzung. Horst Hiemer gibt diesem Herrn mit pomadig-glänzendem Haar (Maske: Wolfgang Utzt) die Züge eines schäbigen Biedermannes, der komisch-heroisch um seine Reputation ringt und im übrigen die junge Ellie umwirbt, aber Hesione Hushabye liebt. Ein Finesse-Einfall Shaws: Wie Hesione den von Ellie hypnotisierten, still auf dem Stuhl sitzenden Mangan als biestigen „Industriekapitän" anzählt und unmittelbar hinterher Ellies biederer Vater (Volkmar Kleinert äußerst präzis) einfältig dessen Lauterkeit preist. Posse und Symbolik in Shawscher Synthese, von Langhoff mit kräftigen Strichen entworfen, ohne zu überziehen, immer psychologisch durchdrungen.

In Shotovers Haus, das Bühnenbildner Pieter Hein als eine hallige, großräumige Zwingburg hinstellte, wird nicht nur Mangans Herz gebrochen. In diesem „Gefängnis der Seelen", das der heimlich Rum süffelnde Shotover mit seinen sprühenden Sarkasmen weit- und lebensoffen macht (Reimar Joh. Baur nicht vordergründig kauzig, sondern rüstig ernst zu nehmen), bricht auch Ellies Herz. Johanna Schall bringt ein jüngferlich-romantisches Mädchen ins Spiel, das die Möglichkeiten bürgerlichen Lebens in drei Akten durchmißt. Ellie will berechnend das Geld heiraten, nämlich Mangan, und für die Seele, glaubt sie, ist ihr Hector über den Weg gelaufen. Doch der edle Frauenheld mit aristokratischer Grandezza (Dieter Mann) entpuppt sich als der Ehemann ihrer Freundin Hesione. Das bricht ihr das Herz.

Haus Herzenstod, es ist kaum zu übersehen, Shaw meint das bürgerliche Haus. Ein europäisches? Der Dichter läßt den Finanzier und einen herbeigelaufenen Einbrecher im Bombenhagel umkommen. Eine rein poetische Maßnahme. Politische Vision? Sich grausam immer neu wiederholende Wirklichkeit? Assoziationen. Theater. Unbequem. Selten gespielt das Stück daher.

Jetzt bei Thomas Langhoff in den Kammerspielen — wo es übrigens 1962 Wolfgang Heinz in Szene gesetzt hatte mit Herwart Grosse (Shotover) im Zentrum — hat es allen Shawschen Hintersinn. Und dessen lebenssprühenden und weisen Humor. Dank auch hervorragenden Schauspielern. Zu nennen noch: Christine Schorn als mondän-arrogante Lady Utterword, Jutta Wachowiak als emanzipiert-legere Hesione. Und: Elsa Grube-Deister (Guinness), Michael Schweighöfer (Randall), Günter Sonnenberg (Einbrecher). Viel Beifall. Bravo-Rufe.

 

 

 

Neues Deutschland, 11. Juni 1990