»Der Hofmeister« von Bertolt Brecht im Deutschen Schauspielhaus Hamburg, Regie Ulrich Erfurth

 

 

Brechts „Hofmeister" an Gustaf Gründgens Hamburger Schauspielhaus zu begegnen ist erfreulich. An westdeutschen Bühnen hat sich eine gewisse Kampffront gebildet. „Mutter Courage" hat in der Spielzeit 59/60 acht, „Der gute Mensch von Sezuan" fünf, „Schweyk im zweiten Weltkrieg" zwei und „Leben des Galilei" drei Inszenierungen erlebt. Auch der „Kaukasische Kreidekreis" und „Die Dreigroschenoper" wurden gespielt. Das ist eine klare Absage an Adenauers und Brentanos Kulturpolitik in Sachen Brecht und darf von uns nicht bagatellisiert werden.

 

Andererseits zeigen sich leider gerade an Brechts Stücken besonders deutlich die geistige Enge und die Unfreiheit des heutigen bürgerlichen Theaters. Ärgste Eingriffe müssen zuweilen dafür sorgen, aus dem „Kommunisten Brecht" den „Dichter Brecht" zu machen. Das sieht zum Beispiel so aus, daß in „Furcht und Elend des dritten Reiches'' in der letzten Szene die Genossen zu anonymen Widerstandskämpfern „avancieren". Die KP ist ja verboten!

 

Doch die Grenzen zeigen sich noch auf ganz andere Weise. Bei Brecht darin, daß man ihn nicht sozial bezogen spielt, sondern bürgerlich-psychologisch. Auch die Hamburger Inszenierung Ulrich Erfurths erreicht deshalb nicht die tiefe gesellschaftliche Problematik dieses Werkes. Da hilft kein Hinweis auf die „Freiheit", Brecht nach eigener Sicht interpretieren zu wollen. Es geht gar nicht darum, sklavisch das Berliner Modell zu kopieren. Aber wenn man das Wesen der Brechtschen Dichtkunst nicht erkannt hat, dann kann man dem Dichter nicht vollauf gerecht werden. Die Regie hatte beim „Hofmeister" außer acht gelassen, daß die Fabel gespielt werden muß, und zwar in ihrer dialektischen Bezüglichkeit zur Gesellschaft.

 

In Hamburg wird zum Beispiel das Engagement des Hofmeisters (2. Szene) so eingestrichen, daß Läuffer nicht mehr um sein Leben kämpft, wenn er die Menuettschritte vorführt, sondern daß die Darstellerin der Majorin einen Paradeauftritt erhält. Das Ganze wird so unkonkret geboten, daß schließlich das Ungeheuerliche, das in dem Einmischen Läuffers in das Gespräch Majorin— Graf besteht, überhaupt nicht über die Rampe kommt. Weder die Majorin noch der Graf werden gesellschaftskritisch bloßgestellt. Das Publikum lacht zwar über sie, aber es verlacht sie nicht.

 

Die Auftritte des Dorfschullehrers Wenzeslaus dagegen treffen genau die Mentalität des Stückes. Joseph Offenbach spielt nicht irgendeinen Dorfschüllehrer. Wenn sein akkurater Wenzeslaus in großen Filzpantoffeln strammen Schrittes und aufrechten Rückgrates durch die Schulstube defiliert, ist dieses kleinbürgerliche Schulmeisterlein bereits als williger Diener des preußischen Despotismus entlarvt. Gegenüber diesem konkreten Schauspieler gewinnt auch die Darstellung des Läuffer durch Heinz Reincke. Reincke ist ein außerordentlich begabter Sprecher, aber er brauchte Regisseure wie Engel, Langhoff oder Heinz, die ihm helfen, eine Bühnengestalt nicht nur psychologisch, sondern auch in ihrer sozialen Gebundenheit zu erfassen. Reincke spielt den Läuffer nicht verwaschen, doch nicht so konkret, daß mit dem Schicksal dieses armen Teufels die ganze deutsche Misere angeklagt würde. Hofmeister bleibt in Erfurths Inszenierung ein seltsamer Sonderfall, seine Geschichte wird nicht allgemeingültig.

 

 

 

SONNTAG, Nr. 51/1960