„Prinz Friedrich von Homburg“ von Heinrich von Kleist am Berliner Ensemble, Regie Manfred Wekwerth/Joachim Tenschert

 

 

 

 

Zwischen Liebesromanze und Kriegsbefehl  -  Träumerei und Aufbegehren

 

Am Portal des Berliner Ensembles verkündete weithin ein beschriftetes weißes Linnen: Wir spielen heute „Hauptmann von Köpenick". Drinnen handelte es sich dann doch um Kleists Schauspiel „Prinz Friedrich von Homburg". Indessen — nun einmal irritiert — wußte man nie recht, wie komisch oder unkomisch der Abend letztlich zu nehmen sei.

Das prononciert vorangefügte Kleist-Zitat aus dem Jahre 1809 über Hoffnung auf eine Weltregierung, gesetzt in freier Wahl von der Gesamtheit aller Brudernationen, verwies auf ernsthafteste Intention. Da war der Höhenflug eines deutschen Jünglings, der — wenn auch zufällig, nämlich abgelenkt wegen irrer Verliebtheit — freie Entscheidung in tobender Schlacht der Subordination unter königlichen Befehl vorzieht. Da war der Höhenflug einer fürstlichen Maid, die liebliche Gefühle in den Rang herrschender Kriegsgesetze hebt. Da waren Heinrich von Kleists Sehnsucht wie Aufbegehren.

Der Sohn einer preußischen Offiziersfamilie hatte mit seinem Abschied von der Armee auch Abschied vom königlichen Reglement genommen. Mit seinem „Homburg" sann er auf Polemik gegen dynastisch beschränkte Politik, die Zeichen der Zeit poetisch deutend. 1809 hatte Schill auf eigene Faust losgeschlagen. 1809 hatte sich Blücher bereit erklärt, ohne Befehl des Königs zu handeln. Des Monarchen absolute Gewalt erwies sich in der Wirklichkeit als relativ. Nun ritt Kleist 1809/11 seine dramatische Attacke.

Sie wäre vor einem Jahr in Berlin gerade recht gekommen. Man hätte die analytisch-darlegende Spielweise, mit der Manfred Wekwerth und Joachim Tenschert agieren lassen, möglicherweise in Kauf genommen. Heute richtet sich das Interesse zwar auch auf die Handlung, aber sie möchte nicht nur gesehen, sie möchte im Glanze der Kleistschen Verse vernommen werden. Derlei stellt sich nicht her. Selten hat das erklärte und — wie ich finde — nach wie vor legitime Bemühen um das sozial Gestische der poetischen Sprache so im Wege gestanden.

Selbst Veit Schubert, neu in der Truppe, kam als Prinz in Verlegenheit. Nun scheint er mir ohnehin nicht prädestiniert für den hochsensiblen Homburg. Schubert zeigt passabel einen Träumer, aber keinen Aristokraten, eher einen gewitzten Bauernburschen, einen unbekümmerten Jeppe vom Berge, der kuriose Gesichte hat. Was noch auffälliger ist: Er spielt vital, aber er kriegt kaum Empfinden in die Gedanken. Die Regie orientiert ihn auf laut und leise, auf schnell und langsam, aber sie hört offenbar nicht, dass die Worte fast durchweg unbeseelt, daß sie Information bleiben, wo sie doch moduliert, irisierend Gefühle vermitteln sollten, wo sie sich aufschwingen sollten in die Gefilde reiner, klarer Dichtung.

Die Atmosphäre, die Bühnenbildner Manfred Grund vorgibt, weiße Gazevorhänge, weiße Seitensoffitten und wechselnd heller oder dunkler Hintergrund, bietet einen sparsam-nüchternen, aber möglichen Zauber der Szene. Das hätte sich besser nutzen lassen. Übersichtliche, erzählende Arrangements durchaus, auch Passagen, die dialogisch dicht sind, wie zwischen dem Kurfürsten und Natalie etwa. Nadja Engel, mit kleiner Stimme zwar, hat Wohllaut, Empfindung und Sensibilität.

Ekkehard Schall setzt ganz auf die Ratio des Friedrich Wilhelm. Er zerdehnt und segmentiert dessen Sätze, löst sie naturalistisch auf. Andererseits führt er seinen Kurfürsten echt in die Krise. Er desavouiert ihn nicht komisch — wie das Dieter Franke 1975 unter Alfred Dresden im Deutschen Theater machte —, sondern gibt ihn als einen störrischen, irgendwie schon entrückten Herrscher, der sich in seinem Katechismus für brandenburgisch-preußische Soldaten verfangen hat und gerade noch einmal herausfindet aus dem eigenen Geistesgefängnis. Man mag diese Figuren-Auffassung nicht teilen, denn sie kommt gewiß ein Jahr zu spät, aber die originellste schauspielerische Leistung des Abends ist sie schon.

Als guter Sprecher bringt sich Arno Wyzniewski (Feldmarschall Dörfling) in Erinnerung, spielt sich Ralf Kober (Rittmeister Stranz) in die Aufmerksamkeit. Martin Seifert (Graf Hohenzollern) argumentiert wie immer präzis, aber mit zuviel Aufwand. Hans-Peter Reinicke (Obrist Kottwitz) ist Hans-Peter Reinicke, Renate Richter (Kurfürstin) ist Renate Richter.

Die Inszenierung dieses Spiels zwischen Liebesromanze und Kriegsbefehl bewegt sich im übrigen sicher gegenüber vaterländisch Mißverständlichem. Immerhin ist's der schließlich begnadigte Prinz, der den Kurfürsten zu weiteren Kriegshandlungen herausforderte. Und Friedrich Wilhelm hat sich mit seinem Exempel eine Führergestalt geschaffen, der seine Generale bedingungslos in die nächste Schlacht folgen werden. Makabre Vision das. Die hier obwaltende Distanz der Regie ist dem Hause angemessen.

Kurzer freundlicher Beifall. Buh-Rufe auch.

 

 

Neues Deutschland, 18. Juni 1990