6. Der Neubeginn (1945 – 1951)

 

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6.3  Homunkuli der Schauspielkunst?

Noch wurde nur zwei Jahre ausgebildet. Und als sich die erste Schülergruppe der Bühnenreife näherte, stellte sie sich am 8. Februar 1948 in einer Morgenveranstaltung in den Kammerspielen (6.29) der Öffentlichkeit vor. Gespielt wurden Szenen aus dramatischen Werken der Weltliteratur.

Zu den Absolventen gehörten u.a. Renate Jautschus, die erste Yvette in Brechts «Mutter Courage und ihre Kinder», Margarete Salbach und Hubert Suschka (beide später am

 

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Hubert Suschka als Juwelendieb in „Der Feigling“ von Stefan Brodwin

 

Deutschen Theater), Regina Pfeiffer, Klaus Boltze, Günter Kislich und Karl Viebach. Die künstlerisch-geistige Heimat der Schule war unumstritten und an Bedeutung zunehmend das Deutsche Theater, an dem die Schüler mittlerweile maßstabsetzende Inszenierungen sehen konnten: «Kabale und Liebe» von Friedrich Schiller (Regie: Gustav von Wangenheim), «König Ödipus» von Sophokles (Regie: Karl Heinz Stroux), «Der Schatten» von Jewgeni Schwarz (Regie: Gustaf Gründgens), «Die russische Frage» von Konstantin Simonow (Regie: Falk Harnack), «Der Hauptmann von Köpenick» von Carl Zuckmayer (Regie: Ernst Legal), «Woyzeck» von Georg Büchner (Regie: Wolfgang Langhoff), «Furcht und Elend des Dritten Reiches» von Bertolt Brecht (deutsche Erstaufführung, Regie: Wolfgang Langhoff).

Die noch bestehende örtliche und organisatorische Trennung der Schule vom Deutschen Theater erwies sich immer nachhaltiger als unvorteilhaft. Kurt Bork, später im Ministerium für Kultur der DDR für das Theater zuständig, damals im Amt für Kunst der Stadt Berlin tätig, holte im November 1947 von Hugo Werner-Kahle ein Gutachten ein. Aufgeschlossen schrieb der erfahrene Theaterpädagoge: «Der an fast allen Schauspielschulen fehlende stabile Lehrkörper erschwert eine gediegene und individuelle Arbeit mit den Schülern außerordentlich. Wir fanden und finden in den Prospekten der offiziellen Schauspielschulen bis zu 30 prominente Schauspielernamen, "die unterrichten werden". Der Schulleiter hat dann die angekündigte Lehrtätigkeit der Genannten "mit deren Bühnentätigkeit zeitlich in Einklang zu bringen" — und das ist insbesondere in der heutigen Zeit ganz unmöglich. Abgesehen davon, daß von 30 guten und sehr guten Schauspielern nur drei bis vier auch pädagogische Fähigkeit haben. Berthold Held, wohl der beste und ehrlichste Schulleiter der letzten 40 Jahre, nannte die Kleinarbeit des Disponierens (die zeitlich in Einklang zu bringende Bühnentätigkeit seiner prominenten Lehrer) unsagbar zeitraubend und zermürbend. Man braucht einen Stamm hauptberuflich und ständig tätiger Lehrer! - und, wenn ich so sagen darf, am Rande einige der ersten Schauspielkräfte mit pädagogischen Fähigkeiten und einer besonders großen Liebe für den Nachwuchs.“ (6.30)

Kurt Borks Recherchen waren durch eine Aktivität der Stadtverordnetenversammlung ausgelöst worden, die im Ergebnis der Oktoberwahlen von 1946 von einer Mehrheit bürgerlicher Politiker beherrscht wurde. Dort hatte im Juli 1947 die Westberliner «Schauspielerin Hilde Körber (CDU)... die Gründung einer Hochschule für darstellende Künste» (6.31) vorgeschlagen. Ihr Vorschlag war angenommen worden. Angestrebt wurde, den Lehrbetrieb innerhalb dieser zu gründenden Hochschule in «zwei eigene Institute» (6.32) aufzuteilen. «In einer Art unabhängiger Patenschaft sollte das eine Institut dem Deutschen Theater und das andere dem Hebbel-Theater verpflichtet sein, ohne daß damit die künstlerische und disziplinarische Verantwortlichkeit gegenüber den Studierenden aus den Händen gegeben wird.» (6.33) Das hieß im Endeffekt, die beiden Schulen sollten von den Theatern gelöst und dem Magistrat unterstellt werden.

Im November 1947 griff Herbert Jhering öffentlich in die Debatte ein und lehnte das Projekt rundweg ab. Warum, fragte er, werden «die Schauspielschulen auch heute noch am produktivsten im Zusammenhang mit einem Theater arbeiten? Weil es in unserer schwankenden, von den verschiedensten Interessen hin- und hergerissenen Zeit noch nicht möglich ist, eine gemeinsame Grundlage für die Kunst des Theaters herzustellen. Diese Grundlage muß vielmehr erst erarbeitet werden und sich organisch entwickeln können, organisch in der allmählichen Ensemblebildung mit einem Theater. Wenn aber eine allgemeine Hochschule der dramatischen Kunst gegründet wird, so werden Grundlagen angenommen, die noch nicht existieren. Das heißt: die Erziehung der Schüler erfolgt im leeren Raum, ohne lebendige Kontrolle. Es werden Homunkuli der Schauspielkunst herangezogen, aber keine Menschen der Schauspielkunst...“ (6.34)

Auf Jhering direkt nicht eingehend, meldete sich Ernst Schröder, der Leiter der Schauspielschule des Hebbel-Theaters, zu Wort. Im Februar 1948 publizierte er unter der Überschrift «Schauspielschulen?» einen Artikel, in dem er gegen wieder aufkommende Vorurteile hinsichtlich schulischer Ausbildung des Nachwuchses polemisierte: «"Schule ist Unsinn!" sagte mir gestern der verehrte Nestor der deutschen Schauspielkunst. Diese Meinung ist uralt, sie findet sich in den Köpfen bekannter deutscher Bühnenleiter und Regisseure... Nun, diese Meinung, ich darf es aus der Erfahrung versichern, geht heute von falschen Voraussetzungen aus, und sie war zu keiner Zeit so gefährlich wie heute! Wer Gelegenheit hatte, den Nachwuchs, der in den letzten Jahren zur Bühne drängte, zu kontrollieren, wird diese Meinung mit allen Mitteln bekämpfen... Man hat längst von der produktiven Methode erfahren, womit in der Sowjetunion an der plan- und schulmäßigen Ausbildung des Theaternachwuchses gearbeitet wird, und man weiß, welche ideale Tradition, die Tradition des Stanislawskischen Künstlerkollektivs, hier fortgesetzt wird.» (6.35)

Trotz Jherings Warnung wurde das Projekt weiter verfolgt, vom Magistrat zum Beispiel das Schloß Bellevue als mögliches Domizil sondiert. Nun reagierte auch Wolfgang Langhoff. Durch Dr. Falk Harnack, seinen Stellvertreter, ließ er dem Hauptamt Kunst und Freizeitgestaltung mitteilen, «daß er sich mit der Neuregelung... nicht einverstanden erklären kann. Herr Intendant Langhoff steht auf dem Standpunkt, daß die Leitung der Schauspielschule genau wie die der beiden Theater an seine Person und an den zwischen der Stadt und ihm geschlossenen Vertrag gebunden ist. Herr Langhoff hat soeben die Schauspielschule reorganisiert, d.h. eine neue Leitung berufen und neue Lehrkräfte engagiert. Weiterhin stellt die Schauspielschule des Deutschen Theaters einen bedeutungsvollen Teil der kulturellen Arbeit des Deutschen Theaters dar, weil hier ein Nachwuchs entwickelt werden soll, der den besonderen künstlerischen Maßstäben und Richtlinien unserer Bühnen entspricht. Somit legt Herr Intendant Langhoff Wert darauf, daß es bei der alten Regelung bleibt.» (6.36)

 

 

 

 

 

Anmerkungen:

 

6.29      Vgl. 100 Jahre Deutsches Theater Berlin 1883-1983, hrsg. v. Michael Kuschnia, Berlin 1983, S. 469     Zurück zum Text

 

 

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Rückseite:

 

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6.30     Brief v. H. Werner-Kahle an den Leit. d. Amtes f. Kunst d. Stadt Berlin, Herrn Bork, v. 3.11.1947, Stadtarchiv Berlin, Rep. 120, Nr. 2432, Bl. 42     Zurück zum Text

6.31     Vermerk d. Amtes f. Kunst v. 23.7.1947 für Herrn Dr. Jannasch, Stadtarchiv Berlin, Rep. 120, Nr. 2432, Bl. 7     Zurück zum Text

6.32     Projekt «Die Berliner "Hochschule für darstellende Künste"», Stadtarchiv Berlin, Rep. 120, Nr. 2432, Bl. 28     Zurück zum Text

6.33    Ebenda, Bl. 29     Zurück zum Text

6.34    Herbert Jhering, Hochschule des Theaters? Die Voraussetzungen sind nicht gegeben, in: Berliner Zeitung, 23.11.1947     Zurück zum Text

6.35    Ernst Schröder, Schauspielschulen? in: Dramaturgische Blätter, 2. Jg., Berlin 1948, Heft 2, S. 85     Zurück zum Text

6.36    Brief v. Dr. Falk Harnack an Mag. v. Groß-Berlin, Abt. f. Volksbild., Hauptamt Kunst u. Freizeitgestaltung, z.H. Herrn Bork, v. 28.6.1948, Stadtarchiv Berlin, Rep. 120, Nr. 2432, Bl. 151     Zurück zum Text

 

 

 

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