„Hundeherz“ von Michail Bulgakow an der Berliner Volksbühne, Regie Horst Hawemann

 

 

 

Mischung aus Phantastik und Alltag

 

 

Die 1925 entstandene, wegen ihrer Vieldeutigkeit umstrittene Novelle „Hundeherz" des sowjetischen Erzählers, Publizisten und Dramatikers Michail Bulgakow (1891-1940) wurde 1987 am Moskauer Theater für junge Zuschauer erstmals als satirische Komödie vorgestellt. Der Schöpfer der Stückfassung, Alexander Tscherwinski, traf ohne Zweifel die Bulgakow eigene poetische Mischung von Alltagsleben, Phantastik und Satire. Aber dramaturgisch war er nicht gut beraten. Jedenfalls geriet ihm die Exposition entschieden zu weitschweifig.

Jetzt hat sich Regisseur Horst Hawemann an der Berliner Volksbühne des Textes fabeldienlich angenommen, ihn auch ein wenig aufgefrischt. Zusatzlich setzte er mit einem Vorspiel Zeichen für Zeit und Milieu. Da tänzelt eine fähnchenschwenkende Chaplinfigur zwischen zwei rivalisierenden Musikkapellen, einer „roten" und einer „weißen". Eine pantomimisch-musikalische Demonstration politischer Turbulenzen im Sowjetrußland der zwaniger Jahre, die an Meyerholds stilisierende Theatralik erinnert.

Doch dann arbeitete Hawemann im anschaulichen Bühnenbild Martin Fischers psychologisch gründlich und sozial genau. Damit dehnt er die Vorgänge zwar gelegentlich, aber deren Ausspielen bekommt den Schauspielern wie dem Stück vorzüglich. Bulgakows satirisches Anliegen kristallisiert sich heraus.

In einer 7-Zimmer-Wohnung der Moskauer Pretschistenka-Straße lebt und wirkt Professor Preobrashenski, ein standesbewußter, im Ausland hoch angesehener bürgerlicher Wissenschaftler. Er fängt einen streunenden Straßenköter ein — nicht aus Mitleid, wie Hund Bello annimmt, sondern für ein Experiment. Preobrashenski glaubt nämlich, den viel diskutierten und heiß ersehnten „neuen Menschen" per chirurgischer Operation aus einem Tier schaffen zu können, obwohl er mit der aus seiner Sicht zunehmenden „ Zerrüttung" hadert und unverblümt erklärt, daß er das Proletariat nicht liebt.

Das Ergebnis seines Experimentes trifft ihn hart. Es gelingt zwar, aber — dies nun ist das eigentliche Stück — der neue Mensch Bellow entpuppt sich als ein ausgemachter Plebejer. Er pfeift auf die feinen Manieren im Hause seines Herrn, arrangiert sich mit dem Fortschritt, sucht und bekommt Arbeit, will sich verheiraten und erhebt gar Anspruch auf Wohnraum bei Preobrashenski. Zwar ist er ein Grobian, scheint sich jedoch ganz gut zu entwickeln. Bis sich schließlich herausstellt, daß das Hundeherz des gutmütig-bissigen Köters Bello ein Quentchen stärker ist als das ihm eingepflanzte Menschenhirn des verstorbenen Trunkenbolds und Herumtreibers Tschugunkin.

Diesen phantastischen Widerspruch macht Herbert Sand schauspielerisch überaus reizvoll sichtbar. Sein Mensch Bellow ist ein chaotisches, nur vorgeblich friedfertiges Subjekt. Am ehesten ist's ein ungeratener Sohn mit „hündischem" Charakter, eben noch fügsam und gelehrig und ohne Übergang würdelos und gemein. Bellow ist trotz aller menschlichen Regungen von bissig-aggressivem Wesen — und auch das eskaliert.

So zeigt sich: Ein neuer Mensch läßt sich nicht mit Gewalt und mit einem alle sozialen und natürlichen Bedingungen missachtenden wissenschaftlichen Handstreich schaffen. Der erste, der das im Stück begreift, ist Bulgakows Preobrashenski selbst. Weshalb ihn der Autor das Experiment zurücknehmen läßt.

Dem einsichtigen Wissenschaftler verleiht Horst Westphal die widersprüchlichen Züge eines betont „unpolitischen" Aristokraten, der dennoch unverdrossen „mitmischt". Sein hartnäckiger Streit mit dem Hauskomitee — in exzellenten Studien Werner Tietze, Karin Ugowski und Harry Merkel — ist von tief lotender Tragikomik. Hier ist die Regie sozial trefflich genau. Auch bei Winfried Wagner, der den beflissenen, mal besonnenen, mal echauffierten Assistenten Bormental gibt. In weiteren Rollen sind Susanne Düllmann, Katrin Knappe und Reiner Heise zu sehen.

 

 

 

Neues Deutschland, 12. Mai 1989