„Indien“ von Josef Hader und Alfred Dorfer am Schlosspark-Theater Berlin, Regisseur Michael Schottenberg

 

 

 

Wie im richtigen Leben

 

Wer den Titel »Indien« für bare Münze nimmt, erwartet eine exotische Story. Etwa wie in John Irvings jüngstem Roman »Zirkuskind«. Da sich am Berliner Schloßpark-Theater ausgerechnet zwei österreichische Komödianten engagieren, Hausherr Heribert Sasse und Regisseur Michael Schottenberg, stutzt man. Geht es in dieser Tragikomödie am Ende gar nicht um das ferne Indien? Wen die Neugier lockt, wird nicht enttäuscht werden. Zu erleben ist unmittelbares, deftig volksnahes Theater.

Das Erfolgsstück »Indien« von Josef Hader und Alfred Dorfer handelt von zwei spießbürgerlichen Staatsdienern, Kurt Fellner und Heinzi Bösel, die im Auftrag der niederösterreichischen Landesregierung in tiefster Provinz Gasthäuser überprüfen. Qualität der Speisen, Standard der Zimmer und dergleichen. Also haben sie Ärger mit den Wirten. Doch das ist gar nichts im Vergleich mit den Problemen, die sie mit sich selber haben.

Beim »Hackln«, was heißt beim Arbeiten, und beim »Ausrasten«, was heißt beim Ausruhen, finden sie Gelegenheit, sich nicht nur übers Essen in Indien zu unterhalten, sondern auch übers »Pudern«, »Schnackseln«, »Schustern« und »Tupfen« in der Heimat. Jeder hat so seinen Kummer mit der Liebe und ihren Begleiterscheinungen. Kurt, ledig, hat eine Freundin, die ihn betrügt. Heinzi, verheiratet, hat eine Frau, die mal hübsch war, nun aber arg fett ist. Obendrein hat sie ihn mit einem Kind in die Ehe gelotst, das gar nicht von ihm stammte.

Das alles ist nicht besonders dramatisch, doch von urster Komik, weil Allzu-Menschliches von den Autoren gut beobachtet und beschrieben ist. Außerdem werden die zwei »Beamten« - im praktikablen Bühnenbild von Michael Zerz - von Michael Schottenberg (Kurt) und Heribert Sasse (Heinzi) geradezu authentisch hingestellt. Der eine, Kurt, fahrig, unausgeglichen, eitel, ungeschickt weltmännisch; der andere, Heinzi, stur, emotionsarm, bieder, ein wenig hinterwäldlerisch. Doch just er ist von aufopfernder Aufmerksamkeit.

Die Komödie - auch dies wie im richtigen Leben - endet tragisch. Kurt kommt ins Krankenhaus. Heinzi kümmert sich. Eine Freundschaft unter Kollegen, gerade entstanden, bewährt sich. Kompliment den schauspielenden Regisseuren. Lob auch für Marcello de Nardo als Wirt, als Arzt und als Priester. Hier wird nicht - wie heutzutage leider oft im Theater - hämisch destruktiv mit dem Menschen umgegangen, sondern verständnisvoll freundlich. Herzlicher Beifall.

 

 

 

Neues Deutschland, 20. Februar 1997