„Josef und Maria“ von Peter Turrini an der Volksbühne Berlin, Regie Peter Lange

 

 

 

Optimistische Suche nach irdischem Miteinander

 

Für sein Spiel „Josef und Maria" wünscht sich der 1944 geborene österreichische Schriftsteller Peter Turrini als Szenerie ein phantastisches Arrangement, welches die hemmungslose Verkitschung alles Weihnachtlichen ausdrückt. Bei der Aufführung im Theater im 3. Stock der Volksbühne entsprach Gastausstatter Gunter Kaiser diesem Wunsch. Die heilige Familie der christlichen Überlieferung stellt sich als rücksichtslos vermarktet für den gleißenden, verlockenden Glanz eines kapitalistischen Warenhauses dar.

Ein Weihnachtsabend. Einschmeichelnde Werbeslogans verklingen, dann eine letzte, unpersönliche Durchsage fürs Personal. Betriebsschluß. Eine alte, mondän aufgetakelte Dame betritt die Abteilung. Am Spind in der Ecke zieht sie sich um. Mit der eleganten äußeren Schale legt sie auch die Wohlstandsmaske ab. Ihr verhärmtes Gesicht kommt zum Vorschein. Die Frau, stellt sich heraus, kam her, um sauberzumachen. Sie ist eine der „nicht ständig beschäftigten Raumpflegerinnen". Der Wachmann kommt dazu, sichtlich froh, einen Menschen zu finden in der Einsamkeit dieser Nacht. Stockend kommen die beiden ins Gespräch, kramen sie Lebensgeschichte aus den verkrusteten Winkeln ihrer Seelen. Sie reden befremdlich-absurd aneinander vorbei, aber sie reden miteinander.

Josef ist 68jährig, Genosse. Ihn haben die Faschisten gepeinigt. Die Drangsale jener Jahre schleppt er mit sich herum, auch die unerfüllte, erstorbene Hoffnung, ein großer Schauspieler zu sein. Nach wie vor arbeitet er treu für die Partei. Maria, 65jährig, ist eine ehemalige Artistin, in der Nazizeit nicht frei von Verehrung für Hitler. Auch jetzt eine Unpolitische noch immer, verwickelt in Familienkümmernisse um Sohn Willi.

Die beiden schwafeln und schwatzen. Sie kämpfen um eine Flasche Schnaps, die Maria für sich aus den Auslagen abgezweigt hat und die der Antialkoholiker Josef brav immer wieder zurückstellt. Ihre Gesprächigkeit wird zum Zipfel, einander zu fassen, der Alkohol zum Mutmacher. Sie entdecken den Menschen im anderen. Nicht auf die Verkündigung dieser Nacht richten sie schließlich ihr Sinnen, sondern auf das irdische Miteinander. Zwei Menschen, für die das Leben in der kapitalistischen Gesellschaft keine sonderliche Überraschung mehr übrig zu haben schien, blühen auf, weil sie sich trotz und inmitten totaler Entfremdung umeinander bemühen.

Regisseur Peter Lange inszenierte behutsam und taktvoll das verhalten-komische Aufbrechen gleichsam der Jahresringe der Veteranen. Wehmütigkeit und Traurigkeit kommen hervor, Enttäuschungen, Sehnsüchte, ungebrochene Lebenskraft auch. Ein schöner Vorzug dieser Aufführung. Anne-Else Paetzold aber ist leider falsch besetzt. Die hochsensible, ausgezeichnete junge Darstellerin stellt das Alter vor allem anfangs glaubhaft her. Letztlich jedoch verführt eine zärtliche berückend jugendliche Frau einen Greis. Das ist nicht mehr das Stück, das trifft nicht mehr dessen Tiefen, dessen Beklemmungen im Optimistischen, dessen Abgründigkeit im Humanen, dessen herzliche, bedrückende Tragikomik.

Wilfried Ortmann als Josef hat eine liebenswürdige, ein wenig begriffsstutzige Schrulligkeit, auch den trocken-verschrobenen Witz des lebensklugen Alten. So wird's denn doch ein besinnlicher, herzlich applaudierter Abend.

 

 

Neues Deutschland, 27. Dezember 1985