„Don Juan und Faust“ von Christian Grabbe an der Volksbühne Berlin, Regie Helmut Straßburger und Ernstgeorg Hering

 

 

 

Theatralische Ironie mit tieferer Bedeutung

 

Heinrich Heine nannte Christian Grabbe einen „der größten deutschen Dichter", verdunkelt durch Geschmacklosigkeit, Zynismus und Ausgelassenheit, einen leider „betrunkenen Shakespeare". An diesen exzentrischen Autor zwischen Klassik und Romantik wagte sich die Berliner Volksbühne. Helmut Straßburger und Ernstgeorg Hering inszenierten seine sarkastische Tragödie „Don Juan und Faust".

Diese liest sich wie besessen von der Idee, Goethes „Faust" und Mozarts „Don Giovanni" auf einen Hieb theatralisch zu entthronen und den „deutschen Philistern ihre Abgötter" zu „zerhauen" (Grabbe). Und in der Tat scheint darin eine gewisse Schwierigkeit zu liegen, eine heutige Draufsicht zu finden. Vor allem für die Zuschauer, die mit den überkommenen Stoffen nicht so ohne weiteres vertraut sind.

Doch Grabbe hatte, trotz Detmolder Duodezfürstentum-Abgeschiedenheit, einen Blick auf die Welt, einen Durchblick, der noch heute Respekt einflößt. Der betrunkene Shakespeare! Kann man sich das überhaupt vorstellen? Bei Grabbe blitzt neben erbarmungslosem Zynismus immer greller, entlarvender Witz, auch Aberwitz. Don Juan, der Frauenverführer ohne Skrupel, wird gnadenlos verspottet. Eine antihumanistische Kehrseite des Doktor Faust wird sichtbar: Der verantwortungslose, egozentrische Wissenschaftler, der seine Macht kalt gegen den einsetzt, den er nicht beherrschen kann.

Des Dichters Hohn mag Renommage sein, Aufschneiderei eines Beamtensohnes, der sich trotzig mit Literatur behaupten möchte. Aber das ist nicht der ganze Grabbe. Seine „trunkene" Feder giftet, die Restauration nach 1815 verarbeitend, gegen die Verabsolutierung von Idealen.

Dem spektakulösen Untergang seiner „Helden" durch des Satans Zugriff weiß Grabbe nichts entgegenzusetzen — als seinen hintergründigen, letztlich ungeheuer vitalen Witz. Eine Aufführung, die aus diesem Witz heraus lebt, ihn zeitgenössisch-souverän abschmeckt, ist weder depressiv noch pessimistisch, hat Fröhlichkeit und Weisheit.

In der Volksbühne führt das Ursula Karusseit exemplarisch vor. Sofort wird unwichtig, daß eine Frau den Faust macht. Sie schafft es, aus einer lebensbejahenden, trocken-heutigen Haltung heraus clownesk verfremdet die vertrackte Weltsicht dieses Faust zu spielen und zugleich die Figur und den ganzen Grabbe so herrlich wie einfältig zu ironisieren. Stupide hockt dieser Faust auf einem nörgelnden Grundton, den er sich nicht einmal vom Satan nehmen läßt und mit dem er besserwisserisch Gott und die Welt in seine Alchimisten-Retorte haut. Ein Räsoneur von schier unerschöpflicher, anmaßender Überheblichkeit.

Den Punkt allerdings verpaßt die Regie, wo ebendiese Überheblichkeit hätte hart gebrochen werden müssen. „Stirb!" sagt Faust zu Donna Anna (Maike Günther), weil die schöne Tochter des Gouverneurs nicht ihn, sondern Don Juan liebt. Sie stirbt auf der Stelle. Faust erstarrt. Seine vernichtende Macht ist schneller als sein Wort. Auch das Publikum müßte erstarren. In der Volksbühne aber wird die Ungeheuerlichkeit der Situation zertanzt. Die Kritik der Anmaßung findet nicht statt.

Angelika Waller (a. G.) schmeißt sich redlich in die selbstsichere Pose des Don Juan, doch strahlende Unbedingtheit erreicht sie nicht, geschweige denn deren desillusionierende Ironisierung. Viel Beifall gab es für Matthias Günther und seinen Ritter (Satan), der von wendiger Kraft ist. Michael Lucke (Leporello) erscheint als arg poltriger Kerl, Wilfried Ortmann gibt dem greisen Gouverneur borniertes Pathos, Hartmut Puls dem Don Octavio altkluge Dekadenz.

Gespielt wird sinnigerweise (Grabbes Vater war Zuchthausverwalter) in der Eingesperrtheit eines Gefängnishofes (Bühnenbild: Manfred Fiedler). Womit von vornherein die Begrenztheit des Grabbeschen Einfalls angedeutet und heiter-ironisch Distanz geschaffen wird. Nicht alle Textlängen sind gemeistert. Nichtsdestotrotz stellt sich rundum angenehmes theatralisches Vergnügen her.

 

 

 

Neues Deutschland, 9./10. Juni 1984