„Juno und der Pfau“ von Sean O’Casey im
Berliner Ensemble, Regie Fritz Marquardt
Vitales Leben kam nicht auf die Bühne
Ganz zweifellos, Sean O'Casey (1880 bis
1964), der „Revolutionär von Natur aus", wie er sich nannte, gehört ans
Berliner Ensemble. Auch in diesen restaurativen Zeiten. Mit seiner Tragödie
„Juno und der Pfau" aus dem Jahre 1924, in der die Proletenfamilie Boyle auseinander
bricht, läßt sich erzählen über menschliche Zerrüttung durch soziale Not, über
religiöse Engstirnigkeit, über den Irrsinn des Terrorismus. Und dies mit der
spröd-poetischen Kauzigkeit des Dichters, der Komik und Tragik, Ernst und
Lächerlichkeit der Menschen seiner irischen Heimat unerbittlich realistisch, ja
naturalistisch einfing. Sie leben oft glücklicher mit den Erfindungen ihrer
Phantasie denn in den Tatsachen des realen Lebens.
Leider war Regisseur Fritz Marquardt mit
seinem Ausstatter nicht gut beraten. Wahrscheinlich, um die Geschehnisse nicht
allzu weit in einen Guckkasten wegzurücken, baute ihm Hans-Joachim Schlieker
eine abstrahierte Dekoration auf das Proszenium. Türrahmen, Fenster, Tisch, Stühle,
Kamin, Kommode, Bett scheinen aus Marmor gefertigt, arrangiert wie auf einer
Reliefbühne, geeignet vielleicht für eine episch darlegende Spielweise. Natürliches,
vitales Leben jedoch, wie das bei O'Casey nötig wäre, kann sich in solch'
Szenerie nicht entfalten.
Fritz Marquardt spürte offenbar, daß statt Ursprünglichkeit Steifheit
aufkam, und versuchte zu forcieren. Er griff zu Primitivismen. Wenn Männer theatraler Lustigkeit halber über Tisch, Stuhl und Bett steigen
und fallen müssen, ist's leider nur fatal. Welch hintergründige Komik hätte
sich aus dem neureichen Gebaren des „Käptn" Jack Boyle entwickeln lassen,
des Familienvaters, der glaubt, eine ansehnliche Erbschaft gemacht zu haben.
Zwar zündeten die Texte hin und wieder, aber von der ureigentümlichen Komik der
Situationen war wenig entdeckt.
Dabei ist die Besetzung vielversprechend.
Dieter Montag, vom geschlossenen Schiller Theater zum Berliner Ensemble
gekommen, gab den wehleidigen Drückeberger Jack Boyle, der lieber in der Kneipe
hängt und große Reden hält, statt Arbeit zu suchen, in Maßen als
aufgeplusterten Pfau. Er überzieht, wenn er Beinschmerzen vorgibt, er
überzeugt, wenn er taktierend gegen Juno, seine Frau, aufbegehrt oder in
Feigheit ausweicht. Hermann Beyers „Joxer" Daly, Boyles fragwürdiger
Kneipen-Freund, ist ein biegsam-listiges Männlein, ein struppiger Penner, immer
auf dem Sprung, irgendwie abzusahnen. Christine Gloger als Juno verfiel leider
ganz und gar einer darlegenden Spielweise. Sie hatte durchaus das Verhärmte der
Frau, aber gar nicht deren zupackende Lebenskraft, vor der die Männer solch
Respekt haben. Schließlich ist die Juno die tapfere, selbstbewußte Ernährerin
der Familie.
Trefflich Carmen-Maja Antoni als flinke,
robuste graue Maus Mrs. Madigan. Gut auch Michael Kind als Sohn Johnny, der
schwer verwundete Freischärler, zermürbt, verschlissen, ein junger Mann zwar,
aber schon ein menschliches Wrack. In weiteren Rollen Gabriela Maria Schmeide (Mary),
Axel Werner (Bentham), Hans Fleischmann (Jerry), Ruth Glöss (Mrs. Tancred).
Und die Moral von der Geschicht'? Ohne
Sicherheiten pumpe nicht! Freundlicher Beifall.
Neues
Deutschland, 16. Dezember 1993