„Juristen“ von Rolf Hochhuth am Volkstheater
Rostock, Regie Hanns Anselm Perten
Nazi-Ungeist unterm Deckmantel der Jovialität
Mit welch unerhörtem Zynismus verletzt die
westdeutsche Justiz seit über dreißig Jahren die Menschenrechte! Erschütternder
künstlerischer Beleg dieses Tatbestandes ist Rolf Hochhuths dokumentarisches Drama
„Juristen", am Volkstheater Rostock
für die DDR erstaufgeführt. Der in der Schweiz lebende leidenschaftliche
Antifaschist schrieb kein Stück unmittelbar über Filbinger, diesen berüchtigten
NS-Richter, der noch bis 1979 Ministerpräsident des BRD-Bundeslandes
Baden-Württemberg und einer der eifrigsten Einpeitscher der Berufsverbote war
(und erst durch Hochhuths Enthüllungen „weg vom Fenster" genommen werden
mußte). Hochhuth schrieb ein Stück, das am Fall Filbinger die abgrundtiefe
Verlogenheit der westdeutschen „freiheitlich-demokratischen Grundordnung"
entlarvt. Politisches Theater, vom Autor immer wieder im Stück mit
unwiderlegbaren Dokumenten beweiskräftig gemacht (auf die eine Inszenierung
leider verzichten muß).
Minister Heilmayer hadert mit seiner Tochter
Tina, weil sie mit dem linker Regungen verdächtigen Dr. Dieter Hellgrüber lebt.
Nun ist Tina ein Fräulein Doktor geworden. Der Vater überwindet sich und sucht
sie und ihren Verlobten in deren Dachwohnung auf. Tina und Dieter, beide Juristen,
haben sich vorgenommen, bei der Gelegenheit beim Vater ein Wort für ihren
Freund Klaus einzulegen, der in die Fänge Bonner Schnüffelpraxis geraten ist und
Berufsverbot erhielt. Minister Heilmayer aber ist nicht geneigt zu helfen, ja
er attackiert den hinzukommenden Dr. med. Klaus Schultz. Da dreht der den Spieß
um. Er ist nämlich an Akten geraten, die den Minister schwer belasten. Es sind
Urteile gegen deutsche Soldaten, die Heilmayer als nazistischer Oberfeldrichter
gefällt hat. Der Minister ist dem Zusammenbrach nahe, doch er erholt sich und
sinnt darauf zu verhindern, daß die Akten publik werden. Tochter Tina erleidet
einen Schock. Sie glaubt, ihr Kind nicht austragen zu können. Zwar versöhnt sie
sich wieder mit ihrem Verlobten, der, davongelaufen, zu ihr zurückkehrt — aber
auch er weiß keinen Weg. Das Stück endet mit der Handlungsunfähigkeit der
beiden Liebenden, mit der Andeutung Dieters, sich dem perfiden Bonner Regime zu
beugen.
Diesen lähmend-beklemmenden Schluß hat
Regisseur Hanns Anselm Perten etwas überspielen lassen. Er setzt die Akzente
vorher: bei der aufrecht-unerbittlichen Anklage des Dr. Schultz und bei dem
bitteren Aufbegehren Tinas gegenüber dem Vater. Mit behutsamen, vom Autor gebilligten
Strichen konzentriert Perten das Geschehen und betont die dramatischen Züge des
Stückes, ohne dessen episch-dokumentarische Grundstruktur zu verletzen. Erhard
Schmidt gibt dem Minister joviale Biederkeit, darunter versteckt den borniert-reaktionären
Verbrecher. Mir scheint, daß dieser Minister mit bloßstellenderer Distanz gespielt werden könnte, als das Schmidt tut. Petra Gorr bringt
ihre anmutige Lauterkeit in die Tina ein, Manfred Gorr ist der etwas rauh-beinige
Verlobte und Peter Radestock der engagiert anklagende Freund Klaus. Gespielt
wird in der Ausstattung von Falk von Wangelin.
Junge
Welt, 5./6. April 1980