„Das Käthchen von Heilbronn“ von Heinrich von Kleist am Deutschen Theater Berlin, Regie Thomas Langhoff

 

 

 

Vergnügliches Romantik-Spektakel

 

Im Deutschen Theater zu Berlin wird in einem romantischen Guckkasten (Bühnenbild Pieter Hein), mal Grotte, mal Schloß, mal Kampfplatz, eine letztlich harmonische Spielwelt beschworen. In welcher, offen oder insgeheim, ein Cherubim agiert, ein engelhafter Hüter des verlorenen Paradieses. Um wahr zu machen, was unwahrscheinlich ist, in einem Märchen aber möglich. Daß nämlich die reiche Bürgerstochter just kaiserlicher Abkunft ist, also vom Grafen ohne Bedenken geheiratet werden kann. Wie angenehm doch ist solch versöhnliche Lösung. Auch zeitgemäß?

Als Heinrich von Kleist 1807/08 sein großes historisches Ritterschauspiel „Das Käthchen von Heilbronn" schrieb, hoffte er, mit diesem romantischen Drama, einer veredelten Haupt- und Staatsaktion, die Bühne zu erobern. Was ihm vergönnt war. Das durchaus auch ironisch das Mittelalter zitierende Spektakel konzipiert als Gegenentwurf zu „Penthesilea", der rauflustigen Amazone, wurde bald in Wien, Graz und Bamberg gespielt. Es bediente mit dem hartnäckig und demütig liebenden Käthchen die Sehnsüchte vieler Gemüter nach sich erfüllender Liebe. Die Kritiker der Uraufführung ließen das Stück zwar so gut wie durchfallen, doch das Publikum, in seinem Empfinden und Geschmack bestätigt, stimmte zu.

1905 eröffnete Max Reinhardt sein Deutsches Theater programmatisch mit eben diesem phantastischen Kleist. Aber Alfred Kerr schrieb: „Auch bei dieser Aufführung wurde klar: Das 'Käthchen von Heilbronn' bleibt ein Stück, mit dem man nicht viel zu schaffen hat." Rund 90 Jahre später startet Thomas Langhoff seine mit Erwartungen reich befrachtete Intendanz an diesem Haus mit nämlichem Stück. Aber er kann Kerr nicht widerlegen, trotz seiner realistischen, die Fabel erhellenden Handschrift.

Eine Entdeckung scheint mir Kunigunde von Thurneck, gespielt von Dagmar Manzel. Dieses Frauenzimmer, von Kleist mit den Inkredienzen einer intriganten Hexe belegt, ist hier eine auf Immobilien versessene alternde Mondäne, die den Haß der Männer auf sich zieht, weil sie sie schamlos für Landgewinn benutzt und nicht für Zärtlichkeit. Im übrigen ist Cherubin nicht mit ihr im Bunde, so daß sie gegen des Kaisers Tochter nichts ausrichten kann. Dagmar Manzel gibt eine kalte, berechnende Schönheit, eine zu früh emanzipierte, daher tragisch umwitterte Frau. Mannhaft verharrt sie aufrecht, als die Konkurrentin ihr vorgezogen wird. Selbst der symbolisch mit Totenmaske an ihr vorbeiziehende Georg von Waldstätten vermag sie nicht zu schrecken.

Womit Langhoff dem Ende immerhin eine Dissonanz verpaßt. Er fügt eine Nachdenklichkeit zur ansonsten märchenhaften, von kaiserlicher Huld umwebten Hochzeit des Wetter vom Strahl mit der „aristokratisierten" Katharina. Der Regisseur tut allerdings wenig, den offenkundigen Standesdünkel des Grafen kritisch zu beleuchten. Er akzentuiert jugendliche Heißspornigkeit, einen Mann, der eingeschnürt in seine Rittermentalität, mit seinen aufkommenden Liebesgefühlen nicht so recht umzugehen versteht.

Daniel Morgenroths Ritter ist denn zunächst ein vor dem Feme-Gericht schneidig und forsch auftretender Jüngling. Er hat eigentlich keine Mühe mit der Konvention, die die alten Herren (Klaus Piontek, Peter Borgelt, Günter Sonnenberg) als juristische Stützen des kaiserlichen Regimes loyal vertreten. Er hat andererseits gewinnende Züge eines aufgeklärten Aristokraten. Als ihn die „bürgerliche" Jungfrau aufdringlich aufsucht, kann er seine Gefühle kaum niederringen, greift er, wie auf der Flucht vor sich selbst, zur Peitsche, hält aber inne. Bei der Feuerprobe öffnet ihm Käthchens selbstlose Hilfsbereitschaft die Augen.

Diese Liebenden bilden letztlich ein höchst eigenwilliges junges Paar, das in die mittelalterliche Gesellschaft eigentlich nicht paßt. Die zwei ordnen sich nicht ein, schon gar nicht unter, bestenfalls zu. Denn das abgrundtief naive Käthchen von Ulrike Krumbiegel, das sich ziert, barfüßig durch den Forellenbach zu gehen, weil ein Mann zuschauen könnte, ist ansonsten von selbstbewußter, zwar noch ganz unaufgebrochener, aber lodernder Weiblichkeit. Diese Frau, ob nun bürgerlich oder fürstlich, bürgt für einen selbständigen Kopf auch in der Ehe. Der scheue Gottfried Friedeborn (Kai Schulze) jedenfalls wäre ihr nicht gewachsen.

Nun scheint ein neues Denken selbst für dieses Wunderland dringend nötig, wo Bürger wie Waffenschmied Theobald Friedeborn (Kurt Böwe), Käthchens Vater, höchst ergebene Untertanen sind. Der Kaiser (Dietrich Körner hinreißend) erinnert sich zwar, da höhere Fügung waltet, gnädig an sein Liebesabenteuer mit Käthchens Mutter. Aber ob seine Hofergebenen, sprich Feme, üblicherweise viel Wahrheit an ihn heranlassen, ist fraglich. Im Reiche nämlich verkloppen sich die Duodezfürsten weidlich. Die Regie erzählt's gnadenlos sarkastisch. Burggraf von Freiburg (Jörg Gudzuhn im Närrischen etwas überzeichnend), Georg von Waldstätten (Thomas Neumann) als zurückhaltender aber wohl gefährlicher Kumpan, der Rheingraf von Stein (Horst Hiemer), Friedrich von Herrnstadt (Horst Weinheimer), Eginhardt von der Wart (Peter Reusse). Funken stieben beim Schwerterkampf und die blechernen Harnische scheppern, wenn die abgewirtschafteten Herren ihre egoistischen Süppchen kochen. Gottschalk, des Strahls getreuer Knecht (Reimar Joh. Baur), ist einer, der gewitzt Distanz zu halten vermag. Rosalie hingegen, Kunigundes puritanische Dienerin (Katrin Klein), hat offenbar ein feuriges Herz unterm verhüllten Busen.

Ein Abend rundum des gehobenen theatralischen Vergnügens, Peinlichkeiten meidend. Längen auch? Das Publikum schien einverstanden.

 

 

 

Neues Deutschland, 16. Dezember 1991