„Die Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams im Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Johannes Lepper

 

 

 

Leben zwischen Lüge und Wahrheit

 

Tennessee Williams' Drama »Die Katze auf dem heißen Blechdach« als Groteske? Für das Parade-Stück des amerikanischen psychologischen Realismus füllte Momme Röhrbein die Bühne im Berliner Maxim Gorki Theater mit großen und kleinen Kisten, die Big Mama von Reisen aus Europa mitgebracht und unausgepackt gelassen hat. Eine schizophrene Wohlstandshalde im Herrenhaus des Plantagenbesitzers Big Daddy. Welch bühnenbildnerische Übertreibung offenbar erzählen soll, wie maß- und sinnlos besitzgierig Millionäre sind.

Die ungefügen grauen Kästen stehen nun allerdings jedem realen Handeln im Wege. Regisseur Johannes Lepper lässt nämlich keine Groteske spielen. Was in diesem Bühnenbild auszuprobieren sich möglicherweise gelohnt hätte. Der Konflikt um Big Daddys Sohn Brick und dessen homoerotische Verklemmungen mit Flucht in den Alkohol und Haß auf Ehefrau Margaret (1954 eine avantgardistische Tat Williams') hat über die Jahrzehnte allerhand Patina angesetzt. Weshalb sich heutzutage auch nicht so ohne weiteres nachvollziehen läßt, daß die »Katze«, Bricks Frau, statt zu verduften, an der Seite des lieblosen Mannes ausharrt, obwohl sie sich verloren fühlt wie auf einem »heißen Blechdach«. Dies - auch wie die Verwandtschaft beginnt, ums Erbe zu schachern - hat durchaus groteske Züge.

Regisseur Lepper versucht, des Autors Tiefenpsychologie zu bedienen und das überreizte, quälende Leben einer Familie zwischen Wahrheit und Lüge vorzuführen; wobei ihm das szenische Tohuwabohu einen simpel äußerlichen Stil aufzwingt. So rechtschaffen sich die Akteure einsetzen. Jacqueline Macaulay, Debütantin am Hause, gibt die Margaret als eine derbe, energische, schnell zu Handgreiflichkeiten neigende Schönheit. Rainer Wöss, mehr als nötig Krücke und Gipsbein exponierend, stellt vor allem Unruhe und Unausgeglichenheit des jungen Mannes her. Aber die Sinnlichkeit der Beziehungen ist arrangiert; Haß und Leidenschaft des Paares entfalten sich nicht aus Geste und Text. Ansätze eloquenten Spiels verlieren sich, weil die Spieler immer wieder sinnwidrig über Kisten hin- und hersteigen müssen. Völlig abwegig wird's, wenn der behinderte Brick, etwa weil er sich der aufdringlichen Mutter entziehen will, an der Rampe an einem Eisengestänge hochhangeln muß.

Daß solch Primitivismus der Regie letztlich erträglich bleibt, ist Schauspielern zu danken, die mit plastischen Figuren-Erfindungen dagegenhalten. Klaus Manchen zum Beispiel. Er ist nicht der rauhe Koloß, als der Big Daddy meist dargestellt wird, und hat nicht den falschen Ehrgeiz, körperliche Fülle zu mimen. Er gibt einen vom Leben gezeichneten und von Schmerzen geplagten todkranken Mann, der hartnäckig um seinen jüngsten Sohn ringt und sich verbissen und nicht ohne Witz dagegen wehrt, von Frau und ältestem Sohn das Heft aus der Hand genommen zu bekommen. Vielleicht ist er um Nuancen zu gutmütig, zu ausgebrannt schon, zu wenig der sich im Lügen auskennende gnadenlos Mächtige. Ursula Werners Big Mama ist vorzüglich in ihrer heuchlerischen Liebenswürdigkeit, etwas zu schrill beim Behaupten ihres Anspruchs. Ruth Reineckes Mae, stolze Mutter von fünf lärmenden Kindern, pendelt zwischen süffisanter Scheinheiligkeit und treuherziger Naivität.

Das Publikum - ich sah die vierte Vorstellung - schien beeindruckt und zufrieden. Für mich blieb offen, warum eigentlich dies Kisten-Spektakel veranstaltet wird. Der Regisseur war unentschieden in seinen Wertungen. So bekam das - immerhin ironisch gebotene - Happy-End Gewicht, jener versöhnliche Ausgang, den der Autor einst für den Broadway fertigte.

 

 

 

Neues Deutschland, 5. Juni 1998