„King Kongs Töchter“ von Theresia Walser in den
Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Lore Stefanek
Todesengel bumsen gern
Fantasie hat sie, die Theresia Walser. Und eine schöne Sinnlichkeit. Solche Sätze lässt sie ihre Figuren sagen: »Zufall gib dir Mühe.« »Der Tod ist ein Termin.« »Die Häuser ... haben ihren Schutt abgehustet.« »Jeder Gestank« hat »seine eigene Persönlichkeit«. »Findet auf den Tellern heute noch was statt?« Für die einen reicht solch nette Fabulierkunst zu hohem Lob. Sie kürten die Schreiberin zur deutschen »Nachwuchsdramatikerin des Jahres 1998« und zur »Dramatikerin des Jahres 1999«. Andere haben Fragen.
Zum Beispiel frage ich, ob die 1967 in Friedrichshafen
geborene Theresia vom Feuilleton so hochgejubelt würde, wenn sie nicht die
Tochter Martin Walsers wäre. Bei solchem Bonus nämlich, finde ich, müsste in
Sachen Dramatik ein wenig mehr Sachverstand obwalten. Es sei denn, das Theater
verzichtet aufs Handwerk, insonderheit auf eine beredte Fabel, und begnügt
sich mit gescheit poetisierendem Geschwafel.
Als ich 1989 in der Schaubühne »Kleine Zweifel« von
Theresia Walser sah, äußerte ich meine Bedenken. Quasselige Verlautbarungen
von Figuranten ergeben noch kein Stück. Was jetzt in den Kammerspielen des
Deutschen Theaters als »King Kongs Töchter« in der einfühlsam stilgerechten
Regie von Lore Stefanek zu sehen ist, belegt erneut die üppige Fantasie der Autorin.
Aber worin sich ein Theaterstück von einer Statement-Show unterscheidet, scheint
ihr noch immer nicht recht helle zu sein.
Theresia Walser ließ sich von Morden auf der Altenstation im Wiener
Krankenhaus Lainz anregen (»Wo die Traudl is, wird kräftig gsturbn«). Womit
sie ohne Zweifel einen trächtigen Stoff ausfindig machte. Beim Thema hatte sie
Schwierigkeiten. Sie sorgte erst einmal dafür, dass diverse verschrobene
Monologe und Dispute in einem Altenpflegeheim sozusagen frei schwebend zwischen
Wahrscheinlichkeit und Absurdität pendeln. Dies für zwei Stunden
Abendunterhaltung manierlich hinzukriegen, ist schon mal eine Leistung.
Da schwätzen denn also zwei junge Pflegerinnen, die
niedliche Carla (Valerie Koch) und die schlampige Berta (Claudia Hübbecker),
vieldeutig über Nachttischchen und Sofas, die sie herbeigeschafft haben. Die
unzufriedene Meggie (Simone von Zglinicki) stört und beschwert sich über die
Faulenzerinnen. Alsdann brabbeln sechs Heim-Insassen am Frühstücks-Tisch
verrücktes Zeug - Gelegenheit für die DT-Stars Christine Schorn, Gisela Morgen
und Ulrike Johanna Schloeymer sowie Reimar Joh. Baur, Horst Lebinsky und Otto
Mellies hübsch altersputzig zu sein.
Elend makaber die Zeremonie, mit der die drei
Pflegerinnen die sterbende Frau Tormann für ihr »letztes Gesicht« herrichten.
Spätestens hier ist gewiss, dass die drei Damen spezielle Sterbehilfe leisten
und das als perversen Jux zelebrieren. Während das Urwaldmonster King Kong noch
Seele hatte (USA-Film nach einer Idee von Edgar Wallace aus dem Jahre 1933),
sind dessen Töchter nur noch herzlos. Ihr Sterbe-Gaudi, stellt sich heraus,
ist Ersatzbefriedigung. Sobald der Abenteurer Rolfi auftaucht, der geile Bock als
Elektriker, kennen sie nur noch Thema Eins. Womit denn auch die Autorin ganz nebenbei
ihr Thema gefunden hat: Todesengel bumsen gern. Nachdem eben dies hinter den
Kulissen absolviert ist, stehlen sich die inzwischen bizarr herausgeputzten
bösen Mädchen mit Wortgeklingel in die Anonymität davon.
Dramatische Substanz hat das nicht. Schon gar keine soziale Relevanz.
Bei aller Komik im Detail. Da wird Heiminsassin Greti (Christine Schorn) von
dem kraftstrotzenden Rolfi (Hans Jochen Wagner) in einem Rollstuhl
hereingefahren, in dem sie zunächst wie ein Häufchen Unglück hockt. Dann zieht
sie Schuh und Strümpfe aus und lockt Rolfi mit strammem nacktem Bein.
Hinreißend anzusehen, wie diese letzte Verliebtheit die Greti keck, aktiv und
glücklich macht. Eher eine Kabarett-Pointe, aber gekonnt: Nachdem sich Rolfi bei
den lüsternen Pflegerinnen erschöpft hat, besteigt er im Hochgefühl seines
männlichen Triumphes einen Tisch, um eine defekte Lampe zu reparieren. Im
nämlichen Moment schaltet Herr Nübel (Reimar Joh. Baur) den Strom ein...
Wie zu lesen ist, arbeitet Theresia Wailser an einer
Trilogie für die Münchner Kammerspiele. Bleibt zu hoffen, dass die Figuren, die
sie in ihrem Computer hortet und gelegentlich herauslässt, hinreichend lebenskräftig
sind, wenig palavern und viel handeln.
Neues Deutschland, 20. Oktober 2004