„Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher“ von Bertolt Brecht im Berliner Ensemble, Regie Manfred Wekwerth und Joachim Tenschert

 

 

Weißwäscher-Reden auf einem Allerweltskongreß

 

„Turandot oder Der Kongreß der Weißwäscher", das späte (1954) Agit-Prop-Parabel-Spektakel Bertolt Brechts, hat seine Tücken. Zu schlüssiger Fabel sollen wenigstens vier Hauptstränge verwoben werden: Turandots, des Kaisers von China Tochter, Gier auf Männer, die scheiternde, nicht ausreichende Manipulationskunst der Tuis (der Weißwäscher, der kapitalistischen Meinungsmacher) in Sachen fehlender Baumwolle, der Machtantritt des Straßenräubers Gogher Gogh und der aus der Ferne des Landes näher rückende und schließlich siegende Aufstand des Volkes unter Kai Ho. Auch ist da noch der schlaue Bauer Sen, der kommt, Tui zu werden, es aber lieber sein läßt. Und schließlich ist da der Kongreß mit immerhin drei gewichtigen Weißwäscher-Reden, die den epischen Handlungsfluß in breite Anschaulichkeit ausufern lassen. Brecht roch den Braten. Er forderte in einer Nachbemerkung für sein Stück ausdrücklich schnelle Umbauten und schnelles Spiel.

Manfred Wekwerth und Joachim Tenschert, die Regisseure, haben sich akkurat daran gehalten. Alles läuft zügig ab, selbst die Kongreß-Geschäftigkeit. Dennoch drängen sich Detail-Eindrücke vor. Und die Bündelung der Handlungsstränge sucht nicht im Hinwegfegen des verruchten Regimes durch Kai Ho den gültigen Gipfel, sondern in einer angefügten, seltsam harmonisierenden Pose. Ein Stehgeiger fiedelt wohltönende Weisen, Turandot nimmt vergnügt wieder ihre machtmonströse China-Attitüde ein, und allerhand Tuis bieten sich suggestiv der neuen Regierung an. Dies ist ein möglicher Schluß-Akkord des Spektakels, gewiß. Bei Brecht bleibt alles offen, soll sich der Zuschauer selbst seine Gedanken machen. Wekwerth und Tenschert geben ihm einen konkreten Tipp mit auf den Weg. Freilich: Wenn man das Geschehen bis dahin nicht als zu lang empfand, diese Art Schlußapotheose macht es im nachhinein und plötzlich ganz einfach lang.

Vielleicht hätte zudem der Kongreß deutlicher die Ungeheuerlichkeit der Situation signalisieren sollen. Im Stück findet der Kongreß unter einem gewaltigen politischen Druck statt, in der Inszenierung aber bestimmt nicht die Todesdrohung den Gestus, sondern die wohlgefällige Geschäftigkeit eines Allerweltskongresses. Außerdem irritiert, daß das Theater durch das Bühnenbild (Manfred Grund) zu einem KongreBsaal im Hier und Heute manipuliert wird. So verlockend zeitbezogene Anspielungen auf Baumwolle sein mögen, so wenig ergiebig ist's für die Zügigkeit der Fabel. Sie ist verwickelt genug, besonders für den jungen Zuschauer, der nicht immer spontan und synchron auf die eigentlich gemeinte soziale Dimension hin zu assoziieren vermag.

Glanzpunkt der Aufführung ist die große Tui-Rede Ki Lehs, des Rektors der Kaiserlichen Universität. Ekkehard Schall gibt den Leh als einen verbissen seine Argumente setzenden Intellektuellen von tastender, sich windender Kühnheit. Schall trifft die Ungeheuerlichkeit der Situation genau. Auch Arno Wyzniewski als Munka Du und Peter Aust als Vorsitzender des Tuiverbandes lassen die Bedrohlichkeit ahnen. Den Kaiser Chinas spielt Hans-Peter Minetti mit rüstiger Mobilität, treuherzig auf Anbiederung beim Publikum bedacht, heftig im Argument, manchmal senile Trotteligkeit andeutend, tuihaft wach aber, wenn es um Baumwolle und um die Macht geht Des Kaisers Tochter Turandot ist in der Darstellung durch Renate Richter ganz und gar keine böse Blutrünstige, eher das aufgeklärte Kind eines unaufgeklärten Potentaten, das sich hysterische Anfälle leisten kann und im übrigen appetitlich-verführerisch ausschaut. Michael Gerber gibt den Gogher Gogh (den potentiellen Faschisten, der nur mit Verboten regieren möchte) mit unscheinbarer, sich harmlos gebender Brutalität. Der Bauer Sen von Siegfried Weiß ist von fideler, hintergründiger Schlauheit.

 

 

Junge Welt, 24.April 1981