„Korczak und die Kinder“ von Erwin Sylvanus an den Städtischen Bühnen Frankfurt/Main

 

 

 

 

 

Sylvanus erklärt: „Ich bekenne mich zu einem aktiven Humanismus, geprägt von der neuen Wirklichkeit unserer Gegenwart." Und er schrieb eines der mutigsten und wahrhaftigsten Schauspiele, die gegenwärtig auf den westdeutschen Bühnen anzutreffen sind. In Frankfurt/Main wurde es als Protest gegen die antisemitischen Ausschreitungen in den Spielplan aufgenommen.

Als Grundlage diente dem Autor ein Aufsatz in einer Zeitschrift. Darin wurde über das Schicksal des jüdischen Arztes und Pädagogen Dr. Henryk Goldszmidt und der Kinder seines jüdischen Waisenhauses während der faschistischen Besetzung Polens berichtet. Korczak (das Pseudonym für Goldszmidt) ging mit seinen Kindern in den Tod, obwohl die Nazis ihm — auf wie lange? — das Leben versprochen hatten, wenn er die Kinder in Ruhe und Ordnung ausliefern würde.

Sylvanus hat für sein Stück eine sehr eigenwillige Form gewählt, mit der er besondere Wirkungen erzielt, allerdings auch etwas auf den äußeren Vorgang ablenkt. Er läßt einen Sprecher das Publikum erst einmal darauf hinweisen, daß sie ein politisches Stück zu erwarten hätten. Dann werden die Schauspieler auf die Bühne gebeten, und sie beginnen, die Vorgänge von damals sparsam und nüchtern zu rekonstruieren. Sie diskutieren, wie es gewesen ist, und diskutierend und abwägend stellen sie es dar. Dabei werden Dr. Korczak und der Leiter des Einsatzkommandos, der die Aktion befehligte, gegenübergestellt. Es wird versucht, die Grausamkeit des Offiziers zu motivieren: „Der Befehl war sein Gewissen." Der Offizier wird nicht entschuldigt, selbst wenn er pathetisch ausruft: „Ich bin es nicht gewesen!" Doch das eigentliche Anliegen des Autors, „den Keim der Lüge zu suchen", bleibt ein Anliegen. Sylvanus vermag nicht bis zu diesem Keim vorzudringen, nicht die gesellschaftlichen Hintergründe transparent zu machen und die wahren Schuldigen a la Globke anzuklagen, obwohl die aufgelöste Form des Stückes dazu geeignet gewesen wäre.

 

 

SONNTAG, Nr. 51/1960