„Michael Kramer“ von Gerhart Hauptmann am
Schloßpark-Theater Berlin, Regie Harald Clemen
Ein aufgestörter Lehrer an königlicher Kunstschule
In dieser Inszenierung des Dramas „Michael
Kramer" von Gerhart Hauptmann am Schloßpark-Theater in Berlin (West)
stimmt jede Geste, stimmt jeder Ton. Auf milieugerechter Bühne (Susanne Thaler)
arbeitete Regisseur Harald Clemen mit einem homogenen Ensemble im besten Sinne
werkgetreu. Der Dichter kommt zu Wort, sein ästhetisches Credo aus dem Jahre
1900 ins Spiel.
Zwar ist das naturalistische Stück auch im
Nebensächlichen ausführlich und insofern wahrscheinlich kein Publikumsrenner. Aber
über die Zeiten gültig ist der Vater-Sohn-Konflikt. Da ist Michael Kramer, der
redlich-eifrige bildende Künstler, der das Leben feierlich, ja religiös verklärt
und doch zu Großem nicht vorzustoßen vermag. Und da ist Arnold, das junge
Naturtalent. Daß sich dieser „Lotterbube" nicht integrieren will, empört
den Vater, bringt ihn aber von seiner Überzeugung nicht ab. Das frühe
freiwillige Sterben des sensiblen Sohnes jedoch, den bornierte
Stammtisch-Strategen verfolgen und hetzen, erschüttert Kramers verfestigte
Weltauffassung.
Für diesen schließlich und endlich
aufgestörten Lehrer an einer königlichen Kunstschule fand Clemen eine
hervorragende Besetzung. Walter Schmidinger, ein Darsteller subtiler
Distinktion, spielt den Kunstmaler als einen vornehmen Pedanten, der von seiner
Durchschnittlichkeit sehr wohl weiß und sie hinter aristokratisch strenger Form
und tagtäglicher Arbeitsdisziplin verbirgt. Die Unbedingtheit, die er sich
abverlangt und mit der er: seit Jahren hinter verschlossenen Türen
an einem Christusbild malt, lastet wie ein Trauma auf der Familie.
Dabei ist Schmidingers Kramer durchaus
umgänglich, von Würde und Freundlichkeit. Aber er kann auch grausam sein.
Michaline, seiner Tochter (Tatja Seibt als eine selbstbewußte, kluge Frau),
spricht er herzlos das Talent ab. Wenn er spürt, daß er ihr weh tut, ist er
väterlich lieb. Aber schnell zieht er sich wieder in sein akademisches
Schneckenhaus zurück. Einmal noch öffnet er sich. Wenn er seinem ungeratenen
Sohn ins Gewissen zu reden versucht.
Das verbummelte Talent, das sich Vaters
Atelierkunst verweigert und — wie ein Toulouse-Lautrec — in der Kneipe geniale Skizzen
hinwirft, gibt Greger Hansen vielleicht etwas zu überzogen im
körperlichen Gebrechen. Mit der fläzigen Pose gegenüber der Mutter (Rosemarie Fendel)
scheint dieser Arnold zunächst von normaler jugendlicher Aufsässigkeit. Doch
gegenüber dem Vater zeigt sich: Der Lebensfrust sitzt tief. Der seelisch Einsame
kann einfach nicht glauben, im autoritären alten Herrn doch noch einen
Kameraden zu finden. So zieht er
die Hand, die die ausgestreckte des Vaters schon sucht, wieder zurück. Und man
versteht die Entscheidung. Man versteht auch die erste, brennende Liebe dieses
jungen Mannes. Aber Liese, die Tochter des Restaurateurs (Christina Rubruck als
ein faszinierend natürliches junges Weib), mag sich mit dem in ihren Augen verkrachten
jungen Künstler nicht einlassen. So hat Arnold keinen Halt mehr auf dieser
Welt.
Der schwierige Schlußakt, in dem der
Verstorbene aufgebahrt im Atelier liegt, hat bei Clemen nirgends Fatalität.
Kein Ästhetisieren des Todes. Schmidingers Kramer trauert. Kult. Form. Vor allem
aber: einsamer, verbissener Kampf. Er hat Arnold als geharnischten Ritter
porträtiert. Da hat sich bereits Aufbegehren sublimiert. Nun läuft er hin und
her, bald fast wie geistesgestört, bald sich sammelnd. Er hält Zwiesprache mit
seinem toten Sohn, nicht direkt, immer wie nebenher. Doch es befreit. So bricht
es aus Kramer heraus, freilich auch jetzt noch in mannhafter Zucht: „Wo sollen
wir landen, wo treiben wir hin? Wir Kleinen, im Ungeheuren verlassen."
Viel Beifall, anhaltende Bravorufe für eine
veritable Aufführung.
Neues
Deutschland, 28. Juni 1990