„Die Krankheit Tod“ von Marguerite
Duras an der Schaubühne Berlin, Regie Robert Wilson
Posierende Sprachröhren
Für die Berliner Schickeria hat Robert
Wilson an der Schaubühne am Lehniner Platz den von Peter Handke übersetzten
Lese-Text „Die Krankheit Tod" der 70jährigen Französin Marguerite Duras szenisch
bebildert. Kein herkömmliches Theater ist zu sehen, sondern gefühlloses,
zeitlupengegliedertes Posieren zweier hehrer Gestalten, Sprachröhren der
Autorin.
So umständlich wie langatmig wird ein schizophrener Fall erörtert. Ein Mann liebt nicht, obwohl er nächtelang die Wollust einer Frau erfährt. Die er im übrigen gekauft hat. Das heißt, benannt wird das Auseinanderfallen von geschlechtlicher Lust und menschlicher Liebe als gegeben in saturierten Kreisen einer maroden Gesellschaft. Doch soziale Analyse ist der Duras fremd. Sie konstatiert lediglich entdeckerisch, daß dieses Nicht-lieben-Können eine Krankheit sei, die sie sinnigerweise Tod nennt. Denn wer zwar beischläft, aber nicht liebt, meint sie, ist eigentlich tot. Worüber die Duras fast zwei Stunden zu meditieren versteht. Womit die Bühne aber nur zweckentfremdet behelligt werden kann. Das „Multi-Talent" Robert Wilson (Regie, Bühnenbild und Licht) stylt dennoch einen Theaterabend.
Der ehemalige Therapeut geistig behinderter
Kinder bedient den Geschlechts-Autismus der Autorin mit elitärem Ästhetizismus.
Keinerlei Obszönitäten. Klinische Sauberkeit. Das Lotterbett ist ein von unten
weiß beleuchtetes keusches Rechteck. Die Örtlichkeit irgendwo am Meeresstrand
wird mit pastellfarbenen Flächenkompositionen abstrakt markiert. Das Licht
wechselt behutsam oder abrupt zwischen hell und dunkel, zwischen da und dort.
Meeresrauschen wird etwas verfremdet per Tonband eingespielt, auch Möwengeschrei.
Die computergesteuerte Bühne überrascht mit Details.
Doch die zwei Gestalten sind unübersehbar
plastisch, sozusagen optimal herausgeleuchtet. Die männliche Erscheinung (Peter
Fitz), in streng geschlossenem Mantel, wandelt in gravitätischer Starre, den
Blick in irgendwelche gewichtige Ferne gerichtet, gelegentlich wie Dracula mit dem Mund hektische Beißbewegungen vollführend,
eine Hand verkrampft, die andere bedeutungsschwanger geführt. Die weibliche Erscheinung
(Libgart Schwarz), ausstaffiert mit langer Schleppe und schulterfreiem Kleid,
ist etwas leichter zu Fuß. Auch sie mit starrem, demonstrierendem Gehabe, aber
weich in den Bewegungen und betont sanft mit der Stimme. Beide Gestalten
zelebrieren unendlich einfältige Posen, salbadern den Text in der dritten
Person, der sie betreffen könnte, aber nicht muß, aber natürlich meint.
Manchmal kommen sie sich näher, berühren sich jedoch möglichst nicht.
Als die Kavatine „Casta Diva" (Keusche
Göttin) aus der Oper „Norma" von Vincenzo Bellini eingespielt wird, kann
das der Herr nicht ertragen und stopft sich Watte in die Ohren, die er aus
einem silbrigen Mini-Schuh zupft. Dies ist der einzige konkrete Vorgang des
Abends. Ansonsten: außerordentlich gepflegte Langeweile.
Ein befremdliches, ein deplaziertes Ereignis
in der Schaubühne.
Neues
Deutschland, 24. Dezember 1991