„Kredit bei Nibelungen“ von Fritz Kühn,

Städtische Theater Karl-Mars-Stadt,

Regie Wolfgang Keymer

 

„Kredit bei Nibelungen“

 

nennt Fritz Kühn sein zweites dramatisches Werk, das in Potsdam und in Karl-Marx-Stadt uraufgeführt wurde. Es handelt sich — laut Autor — um eine tra­gische Komödie. In dem Stück ist nichts tragisch. Weder großen noch klei­nen bürgerlichen Gau­nern vermögen wir in Sachen Tragödie ästheti­schen Kredit einzuräu­men. Aber streiten wir uns nicht über das Genre. Kühn hat den Satiren auf bourgeoise Korruption im allge­meinen und westdeut­sche faschistisch-milita­ristische Restauration im besonderen eine treffliche hinzugefügt. Er hatte einen Einfall! Er läßt dem stellungslosen Fotografen Block einfallen, aus der Mär, Hitler komme dem­nächst ins großdeutsche Bundesreich zurück, Kapital zu schlagen. Block findet in Amelia Gruber eine ebenfalls geldbedürftige, obendrein solid gebaute Komplizin, die den stramm-gläubigen alten Nazis Hunderter und Tausender aus den prallen Taschen lockt. Geheimrat Justus Wülfing allerdings durchschaut den Schwindel. Jedoch: Er schlägt aus dem Betrug auf seine Weise Kapital. Block wird eingesperrt, doch der von ihm organi­sierte Nibelungen-Kreis beginnt unter Wülfings Leitung zu arbeiten, zwar nicht in Erwartung des „Führers", aber in dessen Geiste.

Kühn benutzt seinen theatralischen Einfall also, um den Nach­weis zu führen, daß sich der Faschismus in Westdeutschland völlig legal neu konstituiert. Das ist denn freilich von bestürzender Aktualität. Fernab ästhetischer Erwägungen wird klar: Es wäre eine Tragödie für das deutsche Volk, gelänge es nicht, den Faschisten und Militaristen das schmutzige Handwerk zu legen. Das Stück Kuhns ist noch aus anderem Grunde wertvoll. Es zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen dramatischen Werken dieser Spielzeit. Kühn ist talentiert. Seine Dialoge fordern die Geste heraus, sie sind knapp, gut durchdacht und von geistiger Spannkraft. Die Szene zwischen dem Juden Fisch und dem geschäftstüchtigen Nazi Schönfelder zum Beispiel ist dramaturgisch meisterhaft gestaltet. In Karl-Marx-Stadt, wo ich das Stück sah, war deutlich zu spüren, daß sich das ganze Ensemble für dieses Werk entschieden hatte. Unter der Regie von Wolfgang Keymer wurde vorzüglich gespielt. Ein wenig mehr gestische Präzision beim Profilieren der Figuren, ein wenig mehr kritische Schärfe, und die Aufführung würde sogar Glanz bekommen. Den kleinen Gauner Block gibt Wolfgang Sasse, die Komplizin Amelia unaus­geglichen Christine Schwarze und den großen Gauner Wülfing Peter Harzheim. In vortrefflicher Studie Julius Klee als David Fisch. Dem Stück sind viele Inszenierungen zu wünschen.

 

SONNTAG, 28. Februar 1960