„Laura und Lotte“ von Peter Shaffer in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, Regie Carl-Hermann Risse

 

 

 

Schrullerei romantischer Seelen

 

Intelligente Frauen mit Mumm. Was blüht denen in der freien Marktwirtschaft? Nicht unbedingt der Kochtopf. Sofern sie die Kraft haben, ungewöhnlich zu handeln. Der englische Stückeschreiber Peter Shaffer, erfolgreich vor allem mit „Amadeus", zeigt mit „Laura und Lotte" zwei Frauen, die sich in ihrer selbstgeschaffenen eigenen kleinen Welt austoben. Und Regisseur Carl-Hermann Risse führt in den Kammerspielen des Deutschen Theaters vor, daß das zwar arg spleenig scheint, wenn nicht gar ist, doch durchaus seinen Reiz haben kann. Und außerdem: Wen geht's was an? Die Hauptsache: Es gelingt, irgendwo in einer Nische der Gesellschaft wenigstens mit sich selbst im Reinen zu leben.

Da ist Miss Laura Douffet (Gudrun Ritter umgänglich und verschmitzt), die kapriziöse Tochter einer Schauspielerin. Sie spielt nicht auf einer Bühne, aber immerzu im Alltag. Außerdem hat sie eine überquellende Phantasie. Könige und Königinnen aus Geschichte und Literatur haben es ihr angetan. Und das Überlieferte weiß sie allemal mit Vorstellungskraft zu bereichern. Mit ihrer Begabung wuchert sie eigensinnig. Als Museumsführerin erzählt sie den Leuten mit quicker Laune so phantastisch-unwahrscheinliche Einzelheiten, daß sie von Miss Charlotte Schön, ihrer Chefin, entlassen wird. Eine Märchentante kann der Trust nicht gebrauchen.

Doch mit ihrer beflügelnden Lebensphilosophie hat Laura diese Charlotte (Inge Keller) so tief beeindruckt, daß die durch langjährige Büroarbeit ziemlich ausgezehrte und abgestumpfte Frau Gewissensbisse bekommt. Sie besucht Laura in deren Wohnung, einem Raritätenkabinett in verwunschenem Schloß, einem Heim aus Kitsch und Exotik (Bühnenbild Peter Schubert). Lauras Beredsamkeit wirkt auch jetzt, noch mehr ihr orientalischer Punsch. Jedenfalls taut Lotte auf, entdeckt ihre verschüttete Lebenslust neu. Immerhin, so erzählt sie, hat sie als junges Mädchen mit einem Freund versucht, der Shell Company mit selbstgebastelten Bomben mächtig eins auszuwischen, als „Anti-Ungeist-Sprengung". Sehenswert, wie Inge Keller dieser Lotte zunächst zugeknöpfte Strenge verleiht und dann die ältliche Dame mit gewinnendem Charme zu jugendlichem Tatendrang erwachen läßt.

Zwei romantische Seelen also finden in kalter Welt zueinander und spielen in Lauras Behausung vergnügt Menschliches durch, vor allem Hinrichtungen. Leider geschieht ein Mißgeschick, so daß ein distinguierter Anwalt (Otto Mellies) eingreifen muß. Spätestens jetzt fallen einem gewisse Längen in Shaffers Fabulierkunst auf. Aber Risse und seine Schauspieler (zu nennen noch Annelene Hischer als Dienstmädchen) meistern gehobenen Boulevard ohne Mühe, spielen Skurriles genau, obwohl man chargieren und seinem Affen Zucker geben könnte. Reiner Bredemeyer kommentiert mit einer elegisch-melancholisch anmutenden Musik. Am Ende läßt der Regisseur Laura und Lotte in dichtem Londoner Nebel verschwinden. Wohin sie - offen gesagt - wahrscheinlich denn doch gehören. Letztlich ist Schrullerei in der Nische genau das, was die Herrschenden aller Couleur brauchen, um ungestört regieren zu können.

Viel Beifall.

 

 

 

Neues Deutschland, 10. März 1992