„Leonce und Lena“ von Georg Büchner
am Theater der Freundschaft Berlin, Regie Peter Schroth
Mit Rock und Pop aufgemöbelt
Aus der jüngsten Premierenflut des Berliner Theaters der Freundschaft sei zunächst Georg Büchners Lustspiel „Leonce und Lena" herausgegriffen. Regisseur Peter Schroth erzählt das Märchen von den zwei Königskindern, die die Liebe und das Leben entdecken, erfrischend schlüssig. Mit Rock- und Pop-Rhythmen hat er die Story zusätzlich aufgemöbelt.
Man weiß es, gewiß, aber es tut gut,
es sich neu bewußt zu machen: Georg Büchner (1813 bis 1837), der politische und
poetische Rebell gegen sich verfestigende zopfige soziale Verhältnisse,
erträumte und beschwor mit seinem Lustspiel aus dem Jahre 1836 ein Land Utopia,
wo die Zeit nach der Blumenuhr gezählt wird, wo es keinen Winter gibt und wo,
wer sich krank arbeitet, strafbar ist. Er apostrophierte die ewige, nie
verkümmernde, oft gedemütigte, nie erfüllbare Sehnsucht des Menschen nach
paradiesischer Ruhe und Geborgenheit.
Regisseur Schroth bedient die Vision
des Dichters prononciert. Am Schluß zücken Leonce, der soeben gekrönte König,
Valerio, sein neuer Staatsminister, Lena und ihre Gouvernante (Erika Sieger),
kostümiert wie ausgelassene Naturkinder, kleine Spielzeugrevolver und treiben
die bornierte Hofkamarilla dem immerhin freiwillig abgedankten König Peter
(Helmut Geffke) hinterher. Fröhlich ob ihres friedlichen Streiches wendet sich
die wohlgemute Viererbande nun zum Publikum und animiert zum Beifall.
Leonce ist in der Gestaltung von Nils
Brück kein melancholischer Langweiler, sondern ein drahtiger junger Bursche,
der wirklich alle Hände voll zu tun hat. So läppisch seine Verrichtungen auch
sein mögen, immer wieder mobilisiert er sich, ringt er um Erkenntnis. Mit
seinen Sand- und Steinspielen sprengt er ständig höfische Etikette und
Sittsamkeit. Seine willfährige Geliebte Rosetta (Elke Reuter) stopft er, ihrer
überdrüssig, erbarmungslos in ein Kellerloch. Und mit seinem Diener Valerie
(Wesselin Georgiew), einem unrasierten, rauflustigen Plebejer, tummelt und
balgt er sich.
Ein Kleinod der Inszenierung: die
Liebesnacht im Garten. Leonce und Lena finden sich zum Kuß, der prompt ihre
Seelen öffnet, ihre Leidenschaft füreinander aufbrechen läßt. Das ist so dezent
wie beredt gespielt. Bettina Engelhardt als unersättliche Lena ist von faszinierendem
Liebreiz, eine Prinzessin von selbstverständlicher Natürlichkeit. Kein Wunder,
wenn sich Leonce hernach ertränken will. Der Tropfen Seligkeit, die eben erlebten
Wonnen, dies scheint ihm nicht überbietbare Erfüllung.
Das Spiel in einem dunkelroten Kabinett,
umgeben von einem Irrgarten aus Plexiglas (Bühnenbildner Bernhard Schwarz
erzählt nebenbei von den irritierend komplizierten Wegen zwischen Herrscher und
Volk), hat Tempo und Konzentration und ist nur anfangs zu ausführlich im
Demonstrieren der Aktivitäten des Leonce. Es zelebriert in keinem Moment
höfisch-feudale Weltflucht, ironisiert vielmehr mit jugendlicher Forsche
jegliche Regierungsgeschäfte als arrogante Winkelpolitik.
Neues
Deutschland, 27. November 1991