„Die Leute auf
Dangaard“ von Martin Andersen Nexö in der Berliner Volksbühne, Regie Herbert
Grünbaum
Die Leute auf
Dangaard
Das einzige
Schauspiel des großen dänischen Dichters der Romane „Pelle der Eroberer",
„Ditte Menschenkind" und „Morten der Rote" ist eher von epischer,
denn von dramatischer Kraft. Es zählt zu jenen Werken proletarischer
Schriftsteller, die vor der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution
geschrieben wurden und mit den Merkmalen jener Zeit behaftet sind. Darin liegt
der einmalige, historische Wert des Stückes, und deshalb ist es auch wichtig im
Lichte einiger ästhetischer Fragen, die uns heute bewegen.
Nexö reißt die Fassade
vom Gutshof des dänischen Großgrundbesitzers Bohn, und wir sehen den Zerfall
der herrschenden Klasse und das Erwachen der unterdrückten Bauern, der Knechte.
Dieses Moment des Einblicknehmens wird durch das Bühnenbild Heinrich Kilgers
großartig unterstützt. Kilger stellt in der Tat das Haus hin und nimmt die
Fassade ab, so daß wir hineinschauen in das Heim der Witwe Bohn und in die
Gesindestube.
Die Bohn
meint, noch die Herrin des Hofes zu sein. Aber ihr demoralisierter Sohn hat das
Erbe seines Vaters würdig angetreten: Er hat das Gut restlos
heruntergewirtschaftet. Er glaubt, durch Intrigen und Geschäftchen den Ruin
vereiteln zu können, der lediglich durch die harte Arbeit Pers, des
Großknechtes, und der anderen Knechte noch etwas hinausgezögert wurde. Doch der
Verfall ist nicht aufzuhalten. Der Sparkassendirektor, bangend um das in dem
Hof investierte Vermögen, eröffnet der Witwe Bohn, daß die Gläubiger Per
beauftragen werden, das Gut zu übernehmen. Und Per will mit seinen Kollegen
versuchen, aus dem Großgrundbesitz eine Genossenschaft zu machen.
Diese
Konsequenz der Handlung stellt das Äußerste dar, was Nexö kurz vor Ausbruch des
ersten Weltkrieges gestalten konnte: Die Arbeiter in den Städten melden ihre
Forderungen an. „Die Arbeiter sollen mit dem Gedanken umgehen, alles
Herrschaftswesen abzuschaffen", lamentiert die Witwe Bohn. Auch die Rechte
der Bauern sind gewachsen. Erik konnte vom Großbauern noch zum Krüppel
geschlagen werden, ohne daß der Schläger zur Rechenschaft gezogen wurde. Zu
Zeiten Pers aber können die Großbauern mit ihren Knechten schon nicht mehr so
umspringen. Es wird also der gesellschaftliche Hintergrund deutlich, die
gesellschaftliche Situation, aus welcher dieser Konflikt Großbäuerin-Knechte
erwächst. Und die Ankündigung Pers, eine Genossenschaft gründen zu wollen,
entspricht der damaligen konkreten dänischen Wirklichkeit. Eine progressivere
Haltung konnte Nexö den Bauern schwerlich geben, wollte er realistisch bleiben,
und eine naturalistische Lösung hätte er gewählt, würden sich die Bauern nicht
zur Bildung einer Genossenschaft entschließen. Das Drama Nexös steht somit auf
der Scheide zwischen kritischem und sozialem Realismus. Gorki konnte um die
gleiche Zeit in Rußland weiter vorstoßen. Getragen vom revolutionären Elan der
russischen Arbeiter schrieb er seinen Rornan „Die Mutter" und überschritt
die Schwelle zum sozialen Realismus.
Das Schauspiel ist uns nicht minder teuer, obwohl es einige
Elemente aufweist, die bürgerlicher Theatralik entlehnt sind. Daß Per — wie
sich herausstellt — sogar der Sohn des verstorbenen Großbauern ist, ist
zweifellos ein etwas abgegriffener Effekt. Aber was ist das Interessante! Ein
bürgerlicher Dramatiker hätte die Versöhnung der Klassen gepredigt und Per zum
neuen Großbauern erkoren. Nexös Per bleibt klassenbewußter Bauer. — Wenn
schließlich die Witwe Bohn ihren eigenen Sohn ermordet und das Gut in Brand
steckt, damit es nicht in die Hände der Knechte fällt, mutet das ebenfalls
theatralisch an. Aber das heißt doch nichts anderes als: Die herrschende Klasse
tritt ihr ergaunertes Eigentum niemals freiwillig ab!
Nexö schrieb sein Schauspiel einfach und klar. Ebenso
unkompliziert versuchte es Regisseur Herbert Grünbaum zu inszenieren, stimmte
das Ganze aber zu stark auf einen harten, trockenen, manchmal übermäßig lauten
Ton ab. von dem sich nur Lisa Macheiner (Mamsell Köller) mit gliedernder Diktion
angenehm unterschied. Wilfried Ortmanns Großknecht ist kräftig und bewußt, derb
in den Ausbrüchen. Das ist gut, doch gerade die Ausbrüche sollten gedanklich
disziplinierter sein. Edwin Marians junger Bohn glänzt als Bösewicht, aber auch
ihn haben wir die Nuancen einer Rolle schon besser wahrnehmen sehen. Martha
Beschort-Diez als Witwe Bohn gerät leider ins Chargieren, vermutlich, weil sie
die Figur mit Distanz geben will, so daß der Zuschauer nicht in die Versuchung
kommt, mit dieser „armen Witwe" mitzufühlen. Aufmerksamkeit verdient
Joachim Konrad als Erik. Hier ist ein Talent im Kommen.
Neues Deutschland, 19. Juni 1958